Grundgesetz der Republik Estland

 

vom 28. Juli 1937
in Kraft getreten am 1. Januar 1938

faktisch aufgehoben durch
Annahme des Ultimatums der UdSSR am 17. Juni 1940, über die Einräumung von Militärstützpunkten und Umbildung der Regierung
Verfassung der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik vom 25. August 1940  (Riigi teataja 1940 Nr. 1117);
in Kraft seit 25. August 1940

Wiederinkraftsetzung von Teilen der Verfassung durch den Obersten Sowjet der Estnischen SSR (ab 8.5.1990: Oberster Rat der Republik Estland)
durch Gesetz vom 8. Mai 1990  (Riigi teataja 1990 14, 139)
(Art. 1 bis 6)
durch Beschluss vom 7. August 1990 ("Außerkraftsetzung" der Sowjetestnischen Verfassung von 1978;
faktisches Wiederinkrafttreten aller Teile des Grundgesetzes außer dem undurchführbaren (z. B. Zweikammerparlament)

formal aufgehoben durch
Grundgesetz der Republik Estland vom 28. Juli 1992 (Riigi teataja 2003 26, 349);
in Kraft seit 29. Juni 1992
 

In unerschütterlichem Glauben und standhaften Willen des Estnischen Volkes, den Staat zu sichern und zu entwickeln;
der aufgrund des unauslöschlichen Selbstbestimmungsrechts des estnischen Volkes geschaffen wurde;
der auf Recht, Gesetzlichkeit und Freiheit beruht;
der den inneren und äußeren Frieden schützt und dem gesellschaftlichen Erfolg und dem gemeinsamen Nutzen der heutigen und kommenden Generationen dient;
der endlich eine Republik auf einer demokratischen Grundlage schafft, in welcher die oberste Gewalt in den Händen des Volkes liegt und die durch ein gewähltes Staatsoberhaupt mit einer von diesem ernannten Regierung in einer gut ausgeglichenen Zusammenarbeit sowie einer Volksvertretung mit einem Zweikammersystem regiert wird;

hat die verfassungsgebenden Nationalversammlung in Ausführung der Aufgaben, welche ihr kraft Volksabstimmung übertragen wurden, das folgende Grundgesetz angenommen:
 

I. Abschnitt.
Grundsätzliche Bestimmungen.

§ 1. Estland ist eine selbständige und unabhängige Republik, in welcher Träger der obersten Staatsgewalt das Volk ist.

§ 2. Das Gebiet des estnischen Staates ist ein unteilbares Ganzes.

§ 3. Die Staatsgewalt kann nicht anders als in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz und den darauf begründeten Gesetzen ausgeübt werden.

Das Grundgesetz gilt als unwandelbare Richtschnur für die Tätigkeit des Präsidenten der Republik, der Staatsversammlung, der Regierung der Republik und der Gerichtshöfe in ihren jeweiligen Funktionen.

§ 4. In Estland können nur solche Gesetze in Kraft treten, die von ihren eigenen Staatsorgane beschlossen wurden.

Die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechtes gelten als ein untrennbarer Bestandteil des estnischen Rechtssystems.

Niemand kann sich mit Unkenntnis des Gesetzes entschuldigen.

§ 5. Die Staatssprache Estlands ist Estnisch.

§ 6.  Die Staatsfarben Estlands sind blau-schwarz-weiß.

Die Staatsflagge und die Form des Staatswappens werden durch Gesetz bestimmt.

II. Abschnitt.
Die estnischen Staatsbürgerrechte und -pflichten.

§ 7. Die estnische Staatsbürgerschaft wird erworben kraft Geburt oder durch ein gesetzliches Verfahren.

Die näheren Bestimmungen über den Erwerb oder den Verlust der Staatsbürgerschaft werden durch Gesetz festgestellt.

§ 8. Die oberste Pflicht eines jeden Staatsbürgers ist die Loyalität zum estnischen Staat und deren Grundgesetz zu wahren.

In aus der Mitgliedschaft im Völkerbund erwachsenden Verpflichtungen betreffen auch die Staatsbürger.

Diese Mitgliedschaft betrifft auch die verbrieften Rechte und Freiheiten der Staatsbürger.

§ 9. Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Es kann keine, von der Geburt, der Konfession, dem Geschlecht oder der Nationalität abhängenden öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Benachteiligungen geben.

Es gibt es keine Stände oder Standestitel. Titel können nur unter gesetzlich festgestellten Bedingungen und Verfahren als Amtstitel, Berufstitel oder wissenschaftlicher Titel verliehen werden.

§ 10. Die Unantastbarkeit der Person ist garantiert.

Niemand kann anders verfolgt werden, als in den Fällen und in der Ordnung, wie sie im Gesetz vorgesehen sind. Niemand kann über 72 Stunden in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden, es sei denn auf Grund eines Beschlusses der Gerichtsbehörden. Der gerichtliche Beschluß muß innerhalb der nachfolgenden vierundzwanzig Stunden dem Gefangenen mitgeteilt werden.

Kein Bürger darf gegen seinen Willen statt dem ihm gesetzlich bestimmten Gericht einen anderen überwiesen werden.

§ 11. Niemand kann wegen einer Tat bestraft werden, es sei denn, daß diese Tat gemäß einem Gesetz strafbar ist, die vor der Verübung dieser Taten in Kraft getreten war.

§ 12. Die Wohnung ist unantastbar.

Eine Wohnung kann nur betreten oder durchsucht werden, wenn die gesetzlich bestimmten Fälle eingetreten sind und das gesetzlich bestimmte Verfahren eingehalten wird.

§ 13. Der Verkehr und der Wechsel des Wohnorts ist frei.

Diese Freiheit kann in gesetzlich bestimmten Fällen und nach dem gesetzlich bestimmten Verfahren eingeschränkt werden.

§ 14. Glaubens- und Gewissensfreiheit ist garantiert.

Die Zugehörigkeit zu Kirchen und konfessionellen Verbänden ist frei.

Den größeren Kirchen können öffentliche Rechte verliehen werden. Eine Staatsreligion gibt es nicht.

Die Ausübung religiöser Zeremonien ist frei, es sei denn, sie widersprechen der öffentlichen Ordnung und Moral .

Konfessionelle Vorurteile können nicht als Entschuldigung für ein Verbrechen oder für die Verweigerung der Bürgerpflichten gelten.

§ 15. Die Gedankenäußerung in Wort, Schrift, Druck und bildlicher Darstellung ist frei. Diese Freiheit darf nur zum Schutz der äußeren Sicherheit des Staates, der öffentlichen Ordnung, der Moral und des guten Namens eines Bürgers eingeschränkt werden.

Hinsichtlich der Presse gibt es keine Zensur.

§ 16. Das Geheimnis der postalischen, telegrafischen, telephonischen oder einer auf sonstigen allgemein üblichen Wege übermittelten Nachricht ist garantiert. Ausnahmen können in gesetzlich bestimmten Fällen und gemäß dem gesetzlich bestimmten Verfahren gemacht werden, um Verbrechen zu bekämpfen.

§ 17. Alle Bürger Estlands haben das Recht, unter den gesetzlich bestimmten Bedingungen und in der gesetzlich bestimmten Ordnung Versammlungen abzuhalten, wenn dadurch der öffentliche Friede und die öffentliche Sicherheit nicht berührt werden.

§ 18. Alle Bürger haben das Recht, zu kulturellen, wissenschaftlichen, beruflichen, politischen und sonstigen Zwecken Vereine und Gewerkschaften gemäß den gesetzlichen Bedingungen und in der gesetzlich bestimmten Ordnung zu bilden.

Dieses Recht kann durch das Gesetz aus Gründen der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und Moral beschränkt werden.

§ 19. Jeder Bürger kann seine Nationalität bewahren. Die näheren Bestimmungen über die Bewahrung der Nationalität werden durch Gesetz eingeführt.

§ 20. Die Angehörigen der nationalen Minderheiten können zur Wahrung ihrer Kultur- und Fürsorgeinteressen autonome Institutionen gemäß den gesetzlich bestimmten Bedingungen und in dem gesetzlich bestimmten Verfahren bilden.

§ 21. Die Familie als die Grundlage für die Erhaltung des Volkes und das Wachstum der Gesellschaft steht unter dem Schutz des Staates.

Die die Ehe regelnden Gesetze gründen sich auf dem Prinzip der Gleichheit der Rechte der Ehepartner, soweit dies dem gemeinsamen Wohl der Familie, den Interessen der Kinder und der familiären gegenseitigen Unterstützung dient. Das Verhältnis zwischen den verheirateten Partnern wird, unter Berücksichtigung des Eigentums gesetzlich so bestimmt, dass das Gesetz das Recht eines Ehepartners nicht beschränken kann, ihr eigenes Eigentum zu veräußern.

Der Schutz von Mutter und Kindern wird gesetzlich organisiert. Kinderreiche Familien erhalten eine besondere Fürsorge.

§ 22. Der Schulbesuch ist für Kinder des schulpflichtigen Alters innerhalb der vom Gesetz bestimmten Grenzen obligatorisch und ist in den Volksschulen kostenlos.

Der Staat und die Selbstverwaltungskörper haben die erforderliche Anzahl von öffentlichen Volksschulen zu erhalten. Für die weitere allgemeine und berufliche Bildung wird in Übereinstimmung mit den nationalen Interessen und dem Bedarf in den öffentlichen Institutionen wird gesorgt.

In Übereinstimmung mit dem Gesetz können ebenso private Schulen und pädagogische Anstalten errichtet werden.

Der Unterricht erfolgt in der Staatssprache. In Schulen und Institutionen der nationalen Minderheiten wird deren Sprache und die Staatssprache entsprechend den gesetzlich festgelegten Bedingungen verwendet.

Lehrpläne und Organisation der Schulen und Bildungseinrichtungen werden vom Staat geregelt und beaufsichtigt und hat den estnischen Gemeinsinn zu fördern.

Es ist die erste Pflicht sowohl der Eltern, wie auch des Staates und der Selbstverwaltungskörperschaften, die geistige, moralische und körperliche Entwicklung der Jugend zu guten und würdigen estnischen Staatsbürgern anzustreben.

§ 23. Wissenschaft, Kunst und deren Lehre sind frei und stehen unter dem Schutz des Staates. Der Staat beaufsichtigt ihre Veröffentlichung und Weitergabe.

Den wissenschaftlichen Institutionen und höher wissenschaftlichen Lehranstalten wird Autonomie innerhalb der vom Gesetz festgelegten Grenzen garantiert.

§ 24. Die Organisation des wirtschaftlichen Lebens muß gerechten Prinzipien entsprechen, deren Ziel die Förderung der schöpferischen Kraft für den allgemeinen Wohlstand des Volkes ist und das zu einer der menschlichen Würde entsprechenden Lebenshaltung führt.

§ 25. Alle Bürger sind frei, sich einen Beruf zu wählen, Unternehmen zu eröffnen, in der Wirtschaft zu arbeiten und wirtschaftliche Verbände und Gewerkschaften unter den gesetzlich bestimmten Bedingungen zu bilden.

§ 26. Die Eigentumsrechte werden garantiert. Beschränkungen dieser Rechte werden durch das Gesetz festgestellt.

Die Enteignung von Eigentum ohne die Zustimmung des Eigentümers kann im allgemeinen Interesse nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und in dem gesetzlich bestimmten Verfahren und gegen eine gerechte Entschädigung erfolgen.

Ohne Einverständnis des Eigentümers kann dieser nur im allgemeinen Interesse auf Grund der Gesetze und in der gesetzlich vorgesehenen Ordnung enteignet werden. Im Falle der Meinungsverschiedenheit ist die Möglichkeit, die Angelegenheit an ein Gericht zu verweisen, garantiert.

§ 27. Arbeit ist Ehre und Pflicht eines jeden arbeitsfähigen Bürgers.

Jeder Bürger hat das Recht, Arbeit für sich selbst zu finden. Der Staat unterstützt die Arbeitssuche.

Die Arbeit steht unter dem Schutz des Staates. Die Beilegung von Arbeitskämpfen, Streiks inbegriffen, wird durch das Gesetz geregelt.

§ 28. Die Unterstützung einer Person, die Hilfe braucht, ist in erster Linie die Pflicht von Familienmitgliedern.

Durch Gesetz wird die Unterstützung der Bürger im Falle von Alter, Arbeitsunfähigkeit und Armut durch eine Arbeitslosenversicherung und soziale Fürsorge geregelt. Freiwillige soziale Dienste werden gefördert.

Personen, die Arbeit verweigern, die die Pflicht, Familienmitglieder zu unterstützen, vernachlässigen und in böswilliger Absicht staatliche Fürsorge beanspruchen, können nach den gesetzlich bestimmten Bedingungen unter Vormundschaft bestellt werden.

§ 29. Öffentliche Steuern und Lasten dürfen niemandem anders auferlegt werden, außer auf Grund eines diesbezüglichen Gesetzes.

Niemandem darf auf Kosten des Staats eine Pension oder eine Entschädigung gewährt werden, als entsprechend dem Gesetz.

§ 30. Alle Bürger haben das Recht, Klagen oder Gesuche an den Staat und die öffentlich-rechtliche Institutionen zu richten, ist in Estland garantiert. Richtern wird dieses Recht innerhalb der Grenzen ihres jeweiligen Amtes gewährt. Petitionen dürfen keine Anklagen erhalten, deren Merkmale nach dem Gesetz strafbar sind.

§ 31. Die Verwendung von Fremdsprachen vor den Gerichten und anderen staatlichen Institutionen wird gesetzlich bestimmt.

Bürger der nationalen Minderheiten können in den vom Gesetz festgestellten Bedingungen ihre Sprache bei ihren Geschäftsbeziehungen und vor den lokalen autonomen Institutionen verwenden, wenn an diesen Orten die nationale Minderheit der Mehrheit der Einwohner stellt.

§ 32. Staatsbeamte und Beamte der Selbstverwaltungskörperschaften werden entsprechend dem Gesetz unter den für das Amt befähigten Bürgern ernannt. Diese Ämter können von Ausländern nur unter den gesetzlich festgestellten Bedingungen besetzt werden.

Diese Bedingungen brauchen nicht erfüllt werden, um die Ämter des Staates, der Selbstverwaltungskörperschaften und der Unternehmen auf Probe zu besetzen.

§ 33. Die Aufzählung der Rechte und Pflichten der Bürger in diesem Abschnitt schließt keine anderen Rechte und Pflichten aus, die sich aus dem Grundgedanken dieses Grundgesetzes ergeben.

III. Abschnitt.
Das Volk.

§ 34. Die höchste Staatsgewalt wird durch das estnische Volk selbst durch seine stimmberechtigten Bürger ausgeübt.

§ 35. Das Volk übt die Staatsgewalt aus durch:
1) die Wahl des Präsidenten der Republik in Übereinstimmung mit § 40;
2) die Wahl der Abgeordnetenkammer;
3) die Wahl der Abgeordnetenversammlungen der örtlichen Selbstverwaltungen;
4) die Volksabstimmung.

§ 36. Stimmberechtigt ist jeder Bürger, der 22 Jahre alt geworden und ununterbrochen wenigstens drei Jahre lang Bürger Estlands gewesen ist.

§ 37. Nicht stimmberechtigt sind:
1) Bürger, die für schwachsinnig oder wahnsinnig erklärt sind,
2) Blinde, Taubstumme und Verschwender, wenn sie unter Vormundschaft stehen,
3) bestimmte, vom Wahlgesetz bestimmte Kategorien von Bürgern, die staatliche Fürsorge erhalten,
4) Bürger, die unter dauerhafter Vormundschaft stehen.

Das Stimmrecht kann entsprechend dem Gesetz  gewissen Kategorien von Bürgern entzogen werden, die durch ein Gericht verurteilt wurden.

Ihr Stimmrecht nicht ausüben können:
1) Bürger, die während der Wahlen aufgrund des Strafurteils eines Gerichts ihre Strafe in Haft verbüßen oder aufgrund einer Gerichtsentscheidung in Haft genommen sind;
2) Bürger, die infolge von Infektionskrankheiten entsprechend dem Gesetz an bestimmten Orten isoliert sind.

IV. Abschnitt.
Der Präsident der Republik.

§ 38. Der Präsident der Republik ist das Staatsoberhaupt.

Er verkörpert die Einheit der Staatsgewalt und vertritt den Staat. Er fördert die äußere Integrität und die innere Sicherheit des Staates, da allgemeine Wohl des Staates und des Volkes und bewahrt das Recht.

§ 39. Außer den, in diesem Grundgesetz vorgesehenen weiteren Pflichten hat der Präsident der Republik:
1) ernennt die Vertreter der Republik Estland in auswärtigen Staaten und empfängt die Vertreter der auswärtigen Staaten;
2) ernennt die höchsten Staatsbeamten und akzeptiert deren Rücktritt;
3) ernennt die führenden Beamten der Kanzlei des Präsidenten der Republik und akzeptiert deren Rücktritt kraft besonderen Rechts;
4) gibt Verordnungen in Übereinstimmung mit den Gesetzen;
5) beaufsichtigt kraft besonderen Rechts die Tätigkeit des Staates und anderer Institutionen des öffentlichen Rechts;
6) verleiht kraft besonderen Rechts nationale Auszeichnungen und Ehrentitel;
7) entscheidet über Fragen, die ihm durch Gesetz zur Beschlußfassung anvertraut sind.

§ 40. Der Präsident der Republik wird auf sechs Jahre gewählt.

Jeder wahlberechtigte Bürger, der das Alter von 45 Jahren erreicht hat, kann für das Amt des Präsidenten der Republik vorgeschlagen werden.

Die Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik werden in geheimer Abstimmung vorgeschlagen:
1) ein Kandidat von der Abgeordnetenkammer;
2) ein Kandidat vom Staatsrat;
3) ein Kandidat von einer Versammlung aus Abgeordneten, die durch die Abgeordnetenversammlungen der örtlichen Selbstverwaltungen gebildet wird, und von denen 80 Abgeordnete von den Abgeordnetenversammlungen des Landes und 40 Abgeordneten von den Abgeordnetenversammlungen der Städte gewählt werden.

Das Volk wählt unter den vorgeschlagenen Kandidaten durch allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Abstimmung. Bei der Wahl gilt der als zum Präsidenten der Republik gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Wenn zwei Kandidaten die gleiche Anzahl der Stimmen erhalten haben, gilt der ältere Kandidat als gewählt. Die Wahl muss innerhalb von 20 Tagen nach der Aufstellung der Kandidaten erfolgen.

Wenn nur ein Kandidat vorgeschlagen wurde, hat der Präsident der Abgeordnetenkammer eine gemeinsame Sitzung der drei Körperschaften, die das Vorschlagsrecht besitzen einberufen. Wenn der vorgeschlagene Kandidat bei dieser Sitzung durch geheime Abstimmung von mindestens drei Fünfteln aller Mitglieder der Wahlkörperschaft gewählt wird, so ist er Präsident der Republik, außer dass verlangt wird, dass das Volk abstimmen soll.

Das genaue Verfahren für die Nominierung der Kandidaten und für die Wahl des Präsidenten der Republik regelt das Gesetz.

§ 41. Der Präsident der Republik tritt sein Amt mit der Abgabe der folgenden feierlichen Erklärung vor der Staatsversammlung an:
    "Ich (Vorname und Name) auf Grund des Volkswillens das Amt des Präsidenten der Republik antrete, gelobe ich feierlich, das Grundgesetz und die Gesetze der estnischen Republik treu zu schützen, gerecht und unparteiisch die mir übertragenen Vollmachten auszuüben und im Rahmen dieser Vollmachten mit aller Kraft und nach bestem Wissen zum Wohl der estnischen Republik und des estnischen Volkes zu arbeiten."

§ 42. Entscheidungen und andere Akte des Präsidenten der Republik sind gültig, wenn sie die Unterschrift des Präsidenten der Republik tragen und vom Ministerpräsidenten und dem zuständigen Minister gegengezeichnet sind. Für diese Entscheidungen und Akte ist die Regierung der Republik politisch verantwortlich. Die gegenzeichnenden Minister sind als Beamte besonders für die Vereinbarkeit der Entscheidung oder der Akte mit dem Grundgesetz und den Gesetzen verantwortlich.

Entscheidungen oder Akte des Präsidenten der Republik, die aufgrund diesem Grundgesetz kraft besonderen Rechts erlassen werden, bedürfen keiner Gegenzeichnung.

§ 43. Das Amt des Präsidenten der Republik ist mit jedem anderen Amt oder Beruf unvereinbar.

Wird ein Mitglied der Staatsversammlung zum Präsidenten der Republik gewählt, so gilt es mit der Ablegung des feierlichen Gelöbnisses als aus der Staatsversammlung ausgeschieden.

§ 44. Das während der Amtszeit des Präsidenten der Republik zu zahlende Amtsgehalt wird durch Gesetz festgestellt, das nur für die Zeit nach der Wahl des nächsten Präsidenten der Republik geändert werden kann.

Ein nicht mehr amtierender Präsident der Republik erhält ein Ruhegehalt, das drei Viertel des Amtsgehalts des Präsidenten der Republik beträgt.

§ 45. Der Präsident kann während seiner Amtszeit nicht vor einem Gericht angeklagt werden, es sei denn mit der Zustimmung der, in gemeinsamer Sitzung versammelten Staatsversammlung für das Verbrechen des Hochverrats. Mit dem Ablauf seiner Amtszeit kann der Präsident der Republik für dieses Verbrechen und andere, in Ausübung seines Amtes begangenen Rechtsverstöße von der, in gemeinsamer Sitzung versammelten Staatsversammlung angeklagt werden. In beiden Fällen kann die Staatsversammlung nur auf Vorschlag der Mehrheit aller ihrer Mitglieder entscheiden. Über die Anklage entscheidet die Staatsversammlung in gemeinsamer Sitzung mit einer Mehrheit von drei Vierteln aller ihrer Mitglieder. Die Anklage wird vor dem Staatsgericht verhandelt und entschieden.

Ist der Präsident der Republik während seiner Amtszeit angeklagt, so wählt die in § 46 erwähnte Wahlversammlung einen geschäftsführenden Präsidenten der Republik, der die Geschäfte des Präsidenten der Republik bis zum Eintritt der Rechtswirksamkeit des freisprechenden Gerichtsurteils, bis zur Niederschlagung der Anklage oder bis zur Neuwahl des Präsidenten der Republik führt. Der geschäftsführende Präsident ist nicht befugt, die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer anzuordnen oder die Zusammensetzung des Staatsrates zu verändern.

Wenn das Staatsgericht den Präsidenten der Republik freispricht oder die Anklage niederschlägt, haben sofort nach Eintritt der Rechtswirksamkeit der Gerichtsentscheidung Wahlen für eine neue Abgeordnetenkammer stattzufinden und der Staatsrat ist neu zu bilden. Wird der Präsident der Republik jedoch schuldig gesprochen, so wird sofort ein neuer Präsident der Republik gewählt.

Das genaue Verfahren über Anklage und Gerichtsentscheidung wird durch Gesetz bestimmt.

§ 46. Wenn das Amt des Präsidenten der Republik vakant ist oder wenn der Präsident der Republik in den gesetzlich bestimmten Fällen an der Ausübung seines Amtes verhindert ist, werden die Funktionen des Präsidenten der Republik vom Premierminister wahrgenommen, während die Funktionen des Ministerpräsidenten von einem geschäftsführenden Ministerpräsidenten ausgeübt werden.

Wenn das Amt des Präsidenten der Republik vor dem regulären Ablauf der Amtszeit vakant wird, werden umgehend Wahlen für einen neuen Präsidenten der Republik abgehalten.Wenn der Präsident der Republik in anderer Weise an der Wahrnehmung seiner Amtspflichten gehindert ist, und diese Verhinderung über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten fortdauert, kann die Wahlversammlung die Wahl eines neuen Präsidenten anordnen.

Wenn in der Zeit eines Krieges das Amt des Präsidenten der Republik vakant wird oder wenn eine Verhinderung des Präsidenten der Republik an der Ausübung seines Amtes länger als sechs Monate dauert, so wählt die Wahlversammlung einen geschäftsführenden Präsidenten der Republik. Wenn die Verhinderung des Präsidenten der Republik bereits länger als einen Monat gedauert hat, kann die Wahlversammlung aus Gründen des Staatswohls vor dem Ablauf der sechsmonatigen Frist einen geschäftsführenden Präsidenten der Republik wählen.

Die Wahlversammlung besteht aus dem Ministerpräsidenten, dem Oberbefehlshaber oder Befehlshaber der Streitkräfte, dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, dem Präsidenten des Staatsrats und dem Präsidenten des Staatsgerichts. Die Wahlversammlung wird vom Premierminister aus eigenem Entschluss oder auf Verlangen von drei Mitgliedern der Versammlung einberufen, auch während eines Krieges mit dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das genaue Verfahren der Wahlversammlung wird durch Gesetz bestimmt.

Die Amtsgewalt des geschäftsführenden Präsidenten der Republik beginnt mit seiner feierlichen Erklärung vor der Wahlversammlung und endet mit dem Amtsantritt eines neuen Präsidenten der Republik.

Der Ministerpräsident, der die Amtspflichten des Präsidenten der Republik wahrnimmt, hat nicht das Recht, die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer anzuordnen oder die Zusammensetzung des Staatsrats zu ändern.

Mit dem Amtsantritt eines geschäftsführenden Präsidenten der Republik enden die Amtspflichten des letzten Präsidenten der Republik.

§ 47. Der Justizkanzler wird vom Präsidenten der Republik kraft besonderen Rechts ernannt und entlassen.

Zur Amtspflicht des Justizkanzlers gehört die Kontrolle der Wirksamkeit der Gesetze des Staates und der Akte der anderen Institutionen des öffentlichen Rechts. Er berichtet dem Präsidenten der Republik über seine Tätigkeit, über die von ihm entdeckten Mißstände der Gesetzesausführung; er legt der Abgeordnetenkammer und dem Staatsrat Berichte über seine Tätigkeit vor.

Der Justizkanzler hat bei der Leitung seiner Kanzlei dieselben Rechte, die durch Gesetz einem Minister zur Leitung eines Ministeriums übertragen sind; an den Sitzungen der Regierung kann er mit beratender Stimme teilnehmen.

Die Rechtsstellung und die Tätigkeit des Justizkanzlers regelt ein Gesetz.

V. Abschnitt.
Die Regierung der Republik.

§ 48. Die Regierung der Republik übt die vollziehende Gewalt aus.

Außer den, in diesem Grundgesetz vorgesehenen weiteren Pflichten hat die Regierung der Republik:
1) die Politik des Staates in allen Angelegenheiten zu vertreten;
2) die Ausführung der Gesetze sicherzustellen;
3) dem Präsidenten der Republik Vorschläge im Rahmen ihrer Zuständigkeiten vorzulegen, ausgenommen die Angelegenheiten, welche der Präsident der Republik kraft besonderen Rechts entscheidet;
4) die notwendigen Anordnungen zu treffen, um die Entscheidungen des Präsidenten der Republik durchzuführen;
5) über die Angelegenheiten, die im durch das Gesetz übertragen werden, zu entscheiden.

§ 49. Die Regierung der Republik besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.

Zur Organisation der Verwaltungszweige werden aufgrund Gesetz entsprechende Ministerien errichtet.

Die weitere Verwaltungsorganisation wird durch Gesetz bestimmt.

§ 50. Die Regierung der Republik oder jedes ihrer Mitglieder werden vom Präsidenten der Republik kraft besonderen Rechts ernannt und entlassen.

Mit der Entlassung des Ministerpräsidenten erfolgt die Entlassung der ganzen Regierung.

Ernennung und Entlassung einzelner Mitglieder der Regierung der Republik erfolgt auf Vorschlag des Ministerpräsidenten.

§ 51. Beim Amtsantritt haben die Mitglieder der Regierung dem Präsidenten der Republik das feierliche Gelöbnis abzugeben, gemäß dem Grundgesetz und den Gesetzen ihre Amtspflichten getreulich wahrzunehmen.

Es wird angenommen, dass die Regierung der Republik und jedes seiner Mitglieder bei der Amtsübernahme dieses feierliche Gelöbnis abgegeben hat.

Eine Regierung der Republik ist aus ihrem Amt zu entlassen, sobald eine neue Regierung der Republik ernannt wurde. Einzelne Mitglieder der Republik werden aus ihrem Amt entlassen, sobald der Präsident der Republik diese Entscheidung an das betreffende Mitglied weitergegeben hat.

§ 52. Der Ministerpräsident vertritt die Regierung der Republik; er führt und koordiniert ihre Tätigkeit und leitet ihre Sitzungen; er ist gegenüber den jeweils zuständigen Ministern weisungsberechtigt und kann Berichte aus den Ministerien verlangen.

Der Präsident der Republik ernennt auf Vorschlag des Ministerpräsidenten aus den Ministern einen stellvertretenden Ministerpräsidenten. Wenn der Ministerpräsident und der stellvertretende Ministerpräsident außerstande sein sollten, die Amtspflichten des Ministerpräsidenten auszuüben, werden diese vom ältesten Mitglied der Regierung der Republik wahrgenommen.

§ 53. Ein Minister leitet das Ministerium, erfüllt die Aufgaben des Ministeriums und erledigt sonstige Aufgaben, die ihm auf gesetzlicher Grundlage und im gesetzlichen Verfahren übertragen worden sind.

Der Präsident der Republik kann auch Minister ohne Geschäftsbereich ernennen.

Wenn ein Minister aus Krankheits- oder anderen Gründen zeitweilig seine Aufgaben nicht erfüllen kann, überträgt der Präsident der Republik auf Vorschlag des Ministerpräsident seine Aufgaben einem anderen Minister.

§ 54. Die Regierung der Republik und jeder Minister hat das Recht, auf der gesetzlich bestimmter Grundlage und nach dem gesetzlich bestimmten Verfahren Verordnungen zu erlassen.

§ 55. Die Sitzungen der Regierung sind geschlossen. Nur bei besonderen festlichen Gelegenheiten können sie gemäß einer Entscheidung des Präsidenten der Republik als öffentliche proklamiert werden.

Entscheidungen der Regierung der Republik erfolgen auf Vorschlag des zuständigen Ministers.

Entscheidungen der Regierung der Republik sind ungültig, solange sie nicht die Unterschrift des Ministerpräsidenten, der Minister und des Leiters der Staatskanzlei.

§ 56. Ist der Präsident der Republik bei Sitzungen der Regierung der Republik anwesend, so führt dieser den Vorsitz.

Der Präsident der Republik kann von der Regierung der Republik und von jedem Minister Berichterstattung über Fragen, die in deren Kompetenz fallen, verlangen.

Der Präsident der Republik kann Sondersitzungen der Regierung der Republik verlangen.

§ 57. Bei der Regierung der Republik besteht die Staatskanzlei, die vom Staatssekretär geleitet wird.

Der Präsident der Republik ernennt und entläßt den Staatssekretär kraft besonderen Rechts.

Der Staatssekretär hat als Leiter der Staatskanzlei dieselben Rechte, die durch Gesetz einem Minister zur Leitung eines Ministeriums übertragen sind.

Die Amtspflichten des Staatssekretärs werden durch Gesetz näher bestimmt.

§ 58. Gegen den Ministerpräsidenten und die Ministers kann nur mit Zustimmung von drei Fünfteln aller Mitglieder der Staatsversammlung Anklage erhoben werden.

Die Initiative für die Einleitung einer Anklage kann nur vom Präsidenten der Republik, der kraft besonderen Rechts handelt, oder von der Mehrheit aller Mitglieder der Abgeordnetenkammer oder des Staatsrates ausgehen.

Verfahren und Entscheidung der Anklage fällt in die Zuständigkeit des Staatsgerichts. Das genaue Verfahren bei der Anklage soll durch Gesetz festgestellt werden.

Mit der Eröffnung der Gerichtsverhandlung über die Anklage müssen die angeklagten Mitglieder der Regierung der Republik von ihrem Amt zurücktreten.

§ 59. Die Abgeordnetenkammer kann der Regierung der Republik oder jedem ihrer Mitglieder durch einen Beschluß das Mißtrauen aussprechen.

Ein Mißtrauensvotum kann nur während einer Tagung der Abgeordnetenkammer von mindestens einem Viertel aller Mitglieder der Abgeordnetenkammer beantragt werden. Über den Antrag kann frühestens am darauffolgenden Tag entschieden werden, sofern die Regierung keine schnellere Entscheidung verlangt.

Entläßt der Präsident der Republik die Regierung der Republik oder das betreffende Mitglied nicht innerhalb von drei Tagen nach dem Mißtrauensvotum oder ordnet er innerhalb dieser Frist keine Neuwahl zur Abgeordnetenkammer an, so fällt die Entscheidung über das Mißtrauensvotum an den Staatsrat, der bei seiner nächsten Tagung entscheidet.

Unterstützt der Staatsrat mit der Mehrheit aller seiner Mitglieder das Mißtrauensvotum der Abgeordnetenkammer, so soll der Präsident der Republik die Regierung der Republik oder das betreffende Mitglied entlassen; sollte er dies aber nicht für notwendig erachten, so hat er die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer und die Neubildung des Staatsrates anzuordnen. Unterstützt der Staatsrat das Mißtrauensvotum der Abgeordnetenkammer nicht mit der Mehrheit aller seiner Mitglieder, so hat der Präsident der Republik die Regierung der Republik oder das betreffende Mitglied entlassen oder die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer anordnen.

Wenn der Präsident der Republik in Übereinstimmung mit dem vorstehenden Absatz vorgesehene Verfahren Wahlen einer neuen Abgeordnetenkammer oder die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer und die Neubildung des Staatsrates angeordnet hat, und wenn die neu gewählte Abgeordnetenkammer das Mißtrauensvotum gegen dieselbe Regierung der Republik oder gegen das gleiche Mitglied der Regierung der Republik innerhalb von sieben Tagen nach der Eröffnung der Tagung nach dem im Absatz 2 vorgesehenen Verfahren wiederholt, so hat der Präsident der Republik die Regierung der Republik oder das betreffende Mitglied der Regierung der Republik zu entlassen, und sollte der Staatsrat nicht selbst das Mißtrauensvotum in Übereinstimmung mit dem in diesem Paragraphen festgelegten Verfahren unterstützt hat, so hat der Präsident der Republik die Neubildung des Staatsrats anzuordnen.

VI. Abschnitt.
Die Staatsversammlung.

1. Teil.
Allgemeine Bestimmungen.

§ 60. Die Staatsversammlung nimmt Gesetze an und erfüllt sonstige Aufgaben aufgrund des Grundgesetzes.

Die Staatsversammlung ist eine aus zwei Kammern bestehende Volksvertretung. Sie besteht aus der Abgeordnetenkammer und dem Staatsrat.

§ 61. Die Staatsversammlung übt die ihr zustehende Macht in gemeinsamer Sitzung der Kammern der Staatsversammlung, in der Tagung der Abgeordnetenkammer und in der Tagung des Staatsrats aus.

§ 62. Die innere Ordnung der Geschäftsführung der Staatsversammlung, der Abgeordnetenkammer und des Staatsrats sowie ihrer Organe und ihr Geschäftsverkehr untereinander, desgleichen die Rechte und Pflichten der Mitglieder der Staatsversammlung in gemeinsamer Sitzung der Kammern, in der Abgeordnetenkammer und im Staatsrat sowie n den Ausschüssen derselben werden durch eine Geschäftsordnung der Staatsversammlung bestimmt, die durch Beschluß der Staatsversammlung in gemeinsamer Sitzung angenommen wird.

Das Verhältnis der Staatsversammlung, der Abgeordnetenversammlung und des Staatsrates sowie ihrer Organe zu anderen Institutionen und die Ordnung des Geschäftsverkehrs zu denselben, desgleichen die Rechte und Pflichten des Präsidenten der Republik und der Mitglieder der Regierung der Republik auf einer gemeinsamen Sitzung der Kammern der Staatsversammlung, in der Abgeordnetenkammer und im Staatsrat sowie in den Ausschüssen derselben werden durch Gesetz bestimmt.

§ 63. Die Staatsversammlung, die Abgeordnetenkammer udn der Staatsrat haben das Recht, das Erscheinen des Ministerpräsidenten oder einzelne Minister auf ihren Sitzungen zwecks Abgabe von Erklärungen zu fordern.

Der Ministerpräsident und die Minister haben das Recht, in der gemeinsamen Sitzung der Kammern der Staatsversammlung, in der Abgeordnetenkammer und im Staatsrat sowie in den Ausschüssen derselben Erklärungen abzugeben.

II. Teil.
Gemeinsame Sitzungen der Staatsversammlung.

§ 64. Die Staatsversammlung besteht aus den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates. Die Staatsversammlung ist in gemeinsamer Sitzung beschlußfähig, wenn wenigstens die Hälfte des gesetzlichen Bestandes der Staatsversammlung anwesend ist. Mit Ausnahme der Fälle, die im Grundgesetz anders geregelt sind, faßt die Staatsversammlung in gemeinsamer Sitzung seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder.

§ 65. Das Präsidium der Staatsversammlung besteht bei der gemeinsamen Sitzung aus den Präsidien der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates.

Die Staatsversammlung wird zu gemeinsamer Sitzung aus eigener Initiative oder auf Verlangen des Präsidenten der Republik einberufen.

Die gemeinsame Sitzung der Staatsversammlung wird vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer, in dessen Abwesenheit oder in Fällen, in denen er aus irgendwelchen Gründen die Abwesenheit oder in Fällen, in denen er aus irgendwelchen Gründen die Sitzung nicht leiten kann, vom Präsidenten des Staatsrates, wenn aber beide fehlen oder in Fällen, in denen beide die Sitzung nicht leiten können, von den übrigen Mitgliedern des Präsidiums geleitet.

§ 66. Außer zu sonstigen im Grundgesetz vorgesehenen Aufgaben kann die Staatsversammlung zu feierlichen Gelegenheiten der Republik oder der Regierung der Republik zu einer gemeinsamen Sitzung einberufen werden.

Während eines Krieges werden auf Verlangen des Präsidenten der Republik alle zum Wirkungsbereich der Staatsversammlung gehörigen Angelegenheiten, die wegen der Erfordernisse des Staatsschutzes einen schnellen Entscheid bedürfen, der Staatsversammlung zur Beschlußfassung in gemeinsamer Sitzung unterbreitet.

III. Teil.
Die Abgeordnetenkammer.

§ 67. Die Abgeordnetenkammer besteht aus achtzig Mitgliedern, die in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Abstimmung auf dem Wege der Persönlichkeitswahl nach dem Grundsatz der Mehrheitswahl gewählt werden.

Jeder wahlberechtigte estnische Staatsbürger hat das Recht, an der Wahl der Mitglieder der Abgeordneten teilzunehmen, wenn er seinen Wohnsitz oder seinen Arbeitsplatz im jeweiligen Wahlkreis oder dem jeweiligen Verwaltungsbezirk für mindestens das Jahr genommen hat, das der Wahl vorangeht. Jene, die aus beruflichen Gründen verpflichtet sind, Wohnsitz oder Arbeitsstelle zu wechseln und dadurch von ihrem bisherigen Wohnsitz oder ihrer bisherigen Arbeitsstelle abwesend sind, haben das Wahlrecht in dem Wahlkreis ihres neuen Wohnsitzes oder ihrer neuen Arbeitsstelle.

Jeder wahlberechtigte estnische Staatsbürger, der das Alter von fünfundzwanzig Jahren erreicht und seinen Wohnsitz seit mindestens einem Jahr auf dem Gebiet der Republik Estland genommen hat, kann zum Mitglied der Abgeordnetenkammer gewählt werden.

Das genaue Wahlverfahren wird durch Gesetz bestimmt.

§ 68. Die Wahl einer Abgeordnetenkammer findet alle fünf Jahre statt.

Der Präsident der Republik hat das Recht, Wahlen für eine neue Abgeordnetenkammer vor dem Ablauf der Wahlperiode von fünf Jahre aus Gründen des Staatswohls anzuordnen. In diesem Fall muss die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer innerhalb von fünfundvierzig Tagen nach dem Tag der Entscheidung des Präsidenten der Republik, Wahlen für eine neue Abgeordnetenkammer anzuordnen stattfinden.

Die Mandate der Mitglieder der Abgeordneten beginnen mit der Veröffentlichung der Wahlergebnisse der Neuwahl und die Mandate der Mitglieder der bisherigen Abgeordnetenkammer erlöschen zum gleichen Zeitpunkt.

§ 69. Beim Eintritt in die Abgeordnetenkammer hat jedes Mitglied der Kammer ein feierliches Gelöbnis auf die Treue zur Republik Estland und zu seiner grundgesetzmäßigen Ordnung abzugeben. Die Art und Weise des Gelöbnisses erfolgt gemäß dem in § 62 erwähnten Gesetz, welches auch den Text des Gelöbnisses bestimmt.

Wenn ein Mitglied der Abgeordnetenkammer das Gelöbnis verweigert oder nur mit Bedingungen annimmt, hört sein Mandat auf.

§ 70. Die Abgeordnetenkammer wählt auf ihrer ersten Sitzung nach der Neuwahl seinen Präsidenten und die weiteren Mitglieder des Präsidiums. Der Präsident der bisherigen Abgeordnetenkammer führt in dieser Sitzung den Vorsitz, bis der neue Präsident gewählt wurde.

§ 71. Die Abgeordnetenkammer tritt jährlich am zweiten Dienstag im Januar und im Oktober zu einer ordentlichen Tagung zusammen. Nach Neuwahlen beruft der Präsident der Republik die Abgeordnetenkammer spätestens innerhalb von zwei Wochen nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse für ein ordentliche Tagung ein.

Das Präsidium der Abgeordnetenkammer kann die Abgeordnetenkammer auch für außerordentliche Tagungen einberufen. Das Präsidium der Abgeordnetenkammer ist verpflichtet, die Kammer auf Verlangen des Präsidenten der Republik oder eines Viertels der gesetzlichen Mitgliederzahl der Kammer einzuberufen. Wenn die Abgeordnetenkammer auf Verlangen des Präsidenten der Republik zu einer außerordentlichen Tagung zusammen kommt, können nur Anträge des Präsidenten der Republik auf dieser Tagung behandelt werden.

Der Präsident der Republik schließt die Tagung der Abgeordnetenkammer. Die Tagung der Abgeordnetenkammer kann während drei Monaten, nach Beginn der ordentlichen Tagung am zweiten Dienstag im Januar und während zwei Monaten, nach Beginn der ordentlichen Tagung am zweiten Dienstag im Oktober sowie während zwei Wochen nach der ersten Sitzung der neugewählten Abgeordnetenkammer nicht geschlossen werden, außer dass der Präsident der Republik während dieser Zeit Wahlen für eine neue Abgeordnetenkammer angeordnet hat oder die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat die Schließung der Kammer für einen früheren Zeitpunkt vorgeschlagen hat. Diese Zeiträume schließen nicht die Zeit ein, während der der Präsident der Republik oder die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat durch gemeinsame Entscheidung die Tagung der Abgeordnetenkammer vertagt hat.

Der Präsident der Republik hat das Recht, die Abgeordnetenkammer in einer ordentlichen und einer außerordentlichen Tagung jeweils ein Mal zu vertagen, wobei die Vertagung die Dauer von zwei Wochen nicht übersteigen darf.

Die ordentlichen Tagungen der Abgeordnetenkammer sowie die aufgrund der Initiative des Präsidiums der Abgeordnetenkammer oder von Mitgliedern der Abgeordnetenkammer zustande gekommenen außerordentlichen Tagung können während eines Jahres zusammen nicht länger als sechs Monate sein.

Auf Verlangen des Präsidenten der Republik können die Komitees der Abgeordnetenkammer auch außerhalb der Tagungen der Abgeordnetenkammer einberufen werden.

§ 72. Innerhalb des Zeitraums vom Ablauf der fünfjährigen Wahlperiode der Abgeordnetenkammer oder der Entscheidung des Präsidenten, Wahlen für eine neue Abgeordnetenkammer auszuschreiben und der Veröffentlichung der Ergebnisse der Wahlen zur Abgeordnetenkammer kann die Abgeordnetenkammer nur auf Verlangen des Präsidenten der Republik zu einer Tagung zusammenkommen, der auch die Tagesordnung und die Dauer der Tagung bestimmt.

§ 73. Während eines Krieges hat der Präsident der Republik das Recht, nach Rücksprache mit dem Präsidium der Staatsversammlung und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, die Tagung der Abgeordnetenkammer ohne Rücksicht auf die Bedingungen in § 71 zu schließen.

Die Abgeordnetenkammer kann während eines Krieges nur auf Verlangen des Präsidenten der Republik oder des Präsidiums der Staatsversammlung mit Zustimmung des Präsidenten zu einer außerordentlichen Tagung einberufen werden; die Tagesordnung dieser Tagung wird vom Präsidenten der Republik bestimmt.

§ 74. Die Staatsversammlung ist beschlußfähig, wenn wenigstens die Hälfte seiner Glieder nach dem gesetzmäßigen Bestande versammelt sind.

§ 75. Die Sitzungen der Abgeordnetenkammer sind öffentlich. Die Abgeordnetenkammer kann in außerordentlichen Fällen hinter verschlossenen Türen tagen, wenn mindestens zwei Drittel ihrer anwesenden Mitglieder zustimmen.

§ 76. Die Glieder der Staatsversammlung sind durch die Mandate nicht gebunden.

§ 77. Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer können keine Stelle annehmen, die durch den Präsidenten der Republik, die Regierung der Republik, eine Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde oder ein Staatsunternehmen besetzt oder bestätigt werden.

Die Bestimmung des vorigen Absatzes gilt nicht für die Mitglieder der Regierung der Republik und der Personen, die auf Vorschlag von privaten Organisationen, Gemeindeverwaltungsorgane oder autonome Körperschaften besetzt oder bestätigt sind.

Ein Mitglied der Abgeordnetenkammer kann sich nicht an öffentlichen Aufträge oder Konzessionen zur Ausnutzung der nationalen Bodenschätze beteiligen.

Ein Mitglied der Abgeordnetenkammer kann als solcher keinen Vertrag mit Regierungsorganen schließen, welche die Interessen von Anderen betreffen.

Genaue Regeln zur Durchführung dieses Paragraphen erfolgen gemäß dem in § 62 Absatz 2 vorgesehenen Gesetz.

§ 78. Ein Mitglied der Abgeordnetenkammer ist für die Stimmabgabe und politische Äußerungen in der Sitzung der Staatsversammlung, der Abgeordnetenkammer und deren Ausschüssen nicht verantwortlich, außer wenn in der Geschäftsordnung besondere Bestimmungen darüber enthalten sind.

Die Abgeordnetenkammer bildet ein Ehrengericht, deren Zusammensetzung, Verfahren und Zuständigkeit, auch wenn es Personen betrifft, die nicht der Staatsversammlung angehören, von der Geschäftsordnung der Staatsversammlung bestimmt wird.

Das Präsidium der Abgeordnetenkammer kann sich in bezug auf Ehrenangelegenheiten einer Person, die nicht der Abgeordnetenkammer angehört, und die durch eine Ehrenbeleidigung eines Mitglieds der Abgeordnetenkammer in einer Sitzung der Staatsversammlung oder der Abgeordnetenkammer und ihrer Ausschüsse geschädigt sieht, an das Ehrengericht wenden. Das genaue Verfahren und die Zuständigkeit des Ehrengerichts sollen, in bezug auf die Personen, die nicht Mitglied der Staatsversammlung sind, gemäß dem in § 62 Absatz 2 vorgesehenen Gesetz.

§ 79. Ohne Einwilligung der Abgeordnetenkammer kann keins seiner Glieder verhaftet werden, ausgenommen die Fälle, wo es auf frischer Tat ertappt wird. In solchen Fällen wird über die Verhaftung und deren Gründe im Laufe von höchstens 48 Stunden dem Präsidium der Abgeordnetenkammer Mitteilung gemacht; das Präsidium seinerseits legt den Fall in der nächsten Sitzung der Staatsversammlung zur Beschlußfassung vor.

Die Abgeordnetenkammer ist berechtigt, eine einem seiner Glieder auferlegte Verhaftung oder sonstige Beschränkung bis zum Ende der Sessionsperiode oder bis zum Erlöschen der Mandate aufzuschieben.

§ 80. Die Glieder der Abgeordnetenkammer werden für die Dauer ihrer Vollmachten vom staatlichen Schutzdienst befreit.

§ 81. Die Glieder der Abgeordnetenkammer erhalten für die Dauer der Tagungen ein Gehalt. Abgesehen von diesem Gehalt genießen sie freie Reisen oder der Ersatz ihrer Fahrtkosten.

Die näheren Bestimmungen zum Gehalt, zur freien Fahrt oder der Reisekosten werden durch ein Gesetz bestimmt, das nur für den nächstfolgenden Bestand der Abgeordnetenkammer verändert werden kann.

§ 82. Jedes Mitglied der Abgeordnetenkammer haben während ihrer Tagungen das Recht, sich mit einer Anfrage an die Regierung der Republik oder ihre Mitglieder zu wenden. Ein Viertel des gesetzlichen Bestandes von Mitgliedern der Abgeordnetenkammer hat das Recht, während der Tagungen der Abgeordnetenkammer an die Regierung der Republik schriftlich zu interpellieren. Eine Interpellation muss durch eine formelle Erklärung an die Abgeordneten beantwortet werden.

Die Abgeordnetenkammer hat das Recht, Ausschüsse für Interpellationen an die Regierung zu bilden, die vom Präsidium der Abgeordnetenkammer auch während der Tagungspausen einberufen werden können.

§ 83. Wenn ein Mitglied der Abgeordnetenkammer seine Wählbarkeit verliert, mit Erlaubnis der Abgeordnetenkammer festgenommen sind, stirbt, zurücktritt oder sich weigert, das feierliche Gelöbnis abzugeben, oder es nur unter Bedingungen tut, werden in dem betreffenden Wahlkreis neue Wahlen abgehalten, außer daß die Wahlperiode der Abgeordnetenkammer innerhalb von drei Monaten endet. Das neugewählte Mitglied ersetzt das bisherige bis zum Ende der laufenden Wahlperiode.

IV. Teil.
Der Staatsrat.

§ 84. Mitglieder des Staatsrates sind:
1. von Amts wegen:
    a) der Oberbefehlshaber oder der Befehlshaber des Heeres;
    b) die Oberhäupter der zwei bedeutendsten und größten Kirchen in Estland;
    c) die Rektoren von zwei autonomen höheren wissenschaftlichen Lehranstalten;
    d) der Leiter der Emissionsbank;
2. auf Grund von Wahlen:
    a) von den ländlichen Selbstverwaltungen - drei Mitglieder;
    b) von den städtischen Selbstverwaltungen - ein Mitglied;
    c) von den berufsständischen Selbstverwaltungen - sechzehn Mitglieder; davon von der Landwirtschaft und der Fischerei - fünf, von der Industrie, dem Handwerk, dem Handel, der Schiffahrt und dem Genossenschaftswesen - fünf, von der Arbeitnehmerschaft - drei, vom städtischen Immobilienbesitz - eins, von den freien Berufen - eins, von der Hauswirtschaft - eins;
    d) vom Schutzkorps - ein Mitglied;
    e) vom Gebiet der Bildung und Kultur - ein Mitglied;
    f) vom Gebiet der Kultur der völkischen Minderheiten - ein Mitglied;
    g) vom Gebiet der Volksgesundheitspflege - ein Mitglied;
3. auf Grund von Ernennung:
    zehn Mitglieder, die vom Präsidenten der Republik kraft besonderen Rechts ernannt werden.

Die früheren Präsidenten der Republik, die ihr Amt unter diesem Grundgesetz ausgeübt haben und die früheren Oberbefehlshaber während des Krieges, sind kraft persönlichen Rechts Mitglieder des Staatsrates.

Die Mitglieder des Staatsrates müssen die estnische Staatsbürgerschaft besitzen und wahlberechtigt sind, und
1. mindestens vierzig Jahre alt,
2. ihren Wohnsitz für mindestens drei Jahre innerhalb des Gebiets der Republik Estland haben,
3. müssen zum Zeitpunkt ihrer Wahl oder Ernennung die in § 85 genannten Qualifikationen besitzen.

Die Mitglieder des Staatsrates müssen für die Wahl in ihren jeweiligen Organisationen berechtigt sein.

Das genaue Verfahren zur Bildung des Staatsrates wird durch Gesetz bestimmt.

§ 85. Für die Wahl oder Ernennung der betreffenden Mitglieder des Staatsrates muß folgendes bedacht werden:
1. sein guter Ruf und die persönliche Würde des Kandidaten und sein Ruf als treuer Staatsbürger;
2. sein Wissen und seine Erfahrungen, die bei der Arbeit im Staatsrat nützlich sein können.

Das Gesetz über die Bildung des Staatsrates betrachtet das Wissen und die Erfahrung des Kandidaten als genügend, wenn er während einer Zeit von wenigstens zwei Jahren oder mehr als zehn Jahren in öffentlichen Funktionen gedient hat.

Der Teil des Gesetzes über die Bildung des Staatsrates, der die genaueren Bestimmungen zu Absatz 2 enthält, kann nur von der Mehrheit der Gesamtzahl der Mitglieder der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates geändert und ergänzt werden, wobei die Regel gemäß der dem letzten Absatz des § 95 nicht angewendet wird.

§ 86. Die Mitgliedschaft im Staatsrat wird alle fünf Jahre erneuert.

Der Präsident der Republik hat das Recht, die Bildung eines neuen Staatsrates vor dem Ablauf der Amtsperiode von fünf Jahre, aus Gründen des Staatswohls anzuordnen. In diesem Fall muß die Bildung des neuen Staatsrates innerhalb von fünfundvierzig Tagen nach der Entscheidung des Präsidenten der Republik, die Bildung eines neuen Staatsrates anzuordnen, stattfinden.

Die Amtszeit der Mitglieder des Staatsrates werden am Tage der Verkündung der Berufungen in den Staatsrat gültig und die Amtszeit der bisherigen Mitglieder des Staatsrates endet zum gleichen Zeitpunkt. Ist jedoch die Bildung eines neuen Staatsrates gemeinsam mit der Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer angeordnet worden, so beginnt und endet die Amtszeit der Mitglieder des Staatsrates gleichzeitig mit den Mandaten der Mitglieder der Abgeordnetenkammer.

§ 87. Die Tagungen des Staatsrates beginnen und enden zur selben Zeit wie die Tagungen der Abgeordnetenkammer. Die Bestimmungen bezüglich der Tagungen der Abgeordnetenkammer finden auch Anwendung auf die Tagungen des Staatsrates.

§ 88. Niemand kann gleichzeitig Mitglied der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates sein.

§ 89. Die Bestimmungen der §§ 69, 70, 74, 75, 76, 77 Abs. 3, 4 und 5, §§ 78, 79, 80 und 81 sind auch auf den Staatsrat und seine Mitglieder anwendbar.

§ 90. Jedes Mitglied des Staatsrates hat bei den Tagungen des Staatsrates das Recht, schriftliche Fragen an die Regierung der Republik oder an einzelne Minister zu richten.

§ 91. Wenn ein Mitglied des Staatsrates das Recht verliert, Mitglied des Staatsrates zu sein, stirbt, von seinem Amt zurücktritt oder sich weigert, das feierliche Gelöbnis abzugeben, oder es nur unter Bedingungen tut, wird an seiner Stelle ein neues Mitglied gewählt, und zwar in der Weise, wie das abtretende Mitglied  gewählt oder ernannt wurde, außer daß die Amtsperiode des Staatsrates innerhalb von drei Monaten endet. Das neugewählte Mitglied ersetzt das bisherige bis zum Ende der laufenden Amtsperiode.

VII. Abschnitt.
Die Gesetzgebung.

§ 92. Das Recht zur Beantragung von Gesetzen hat die Regierung der Republik mit Wissen des Präsidenten der Republik und wenigstens ein Fünftel des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer.

Die von den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer beantragten Gesetzentwürfe, die die Aufnahme neuer Ausgabeposten in den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates oder die Verringerung oder Streichung von Einnahmen des Staates bedingen, müssen von den Antragstellern mit den notwendigen finanziellen Kalkulationen versehen werden, in denen die zur Deckung der Unkosten erforderlichen Einnahmequellen anzugeben sind. Derartige Entwürfe können nur mit Zustimmung der Regierung der Republik und mit Wissen des Präsidenten der Republik in der Abgeordnetenkammer zur Beratung gelangen.

Das Recht zur Beantragung von Gesetzen, die die bewaffnete Macht des Staates und die Pflichten der Bürger auf dem Gebiet des Staatsschutzes betreffen, steht nur der Regierung der Republik mit Wissen des Präsidenten der Republik zu.

Die Abgeordnetenkammer wie auch der Staatsrat haben das Recht, sich auf Beschluß der Mehrheit ihres gesetzlichen Bestandes an die Regierung der Republik mit dem Vorschlag zu wenden, ein von ihnen als wünschenswert betrachtetes Gesetz zu beantragen.

§ 93. Die beantragten Gesetzentwürfe unterliegen zunächst der Annahme durch die Abgeordnetenkammer.

§ 94. Zu den von der Abgeordnetenkammer angenommenen Gesetzentwürfen muß der Staatsrat spätestens im Laufe von dreißig Tagen, gerechnet vom Empfang des Entwurfes seitens des Präsidiums der Abgeordnetenkammer, Stellung nehmen. In bezug auf einige Arten von Gesetzentwürfen kann diese Frist durch das im zweiten Absatz des § 62 bezeichneten Gesetz verlängert oder verkürzt werden. In den Fällen einer Schließung oder Unterbrechung der Tagung wird in diese Frist jene Zeit nicht eingerechnet, in der die Staatsversammlung nicht versammelt ist.

§ 95. Wenn der Staatsrat dem Präsidium der Abgeordnetenkammer sein Einverständnis zum Gesetzentwurf mitteilt, so gilt der Entwurf als von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz und wird zur Verkündung unterbreitet. Desgleichen gilt der Entwurf als von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz, wenn der Staatsrat im Laufe der in § 94 vorgeschriebenen Frist seine Stellungnahme nicht mitteilt.

Wenn der Staatsrat am Entwurf Änderungen vornimmt, gelangen dieselben in die Abgeordnetenkammer zu Beratung.

Wenn die Abgeordnetenkammer sich den vom Staatsrat angenommenen Änderungen anschließt, oder wenn die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat nach einem Einigungsverfahren, das in dem im zweiten Absatz des § 62 bezeichneten Gesetz vorgesehen ist, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt stellen, wird das Gesetz zur Verkündung unterbreitet.

Wenn die Abgeordnetenkammer ungeachtet der entgegengesetzten Stellungnahme des Staatsrates oder im Falle eines Scheiterns des Einigungsverfahrens entweder den gesamten Gesetzentwurf oder einzelne Teile desselben in der früheren von ihm angenommenen Fassung mit einer Stimmenmehrheit von drei Fünfteln ihres gesetzlichen Bestandes annimmt, so wird das Gesetz zur Verkündung unterbreitet.

§ 96. Die Gesetze werden vom Präsidenten der Republik verkündet.

Der Präsident der Republik hat das Recht, aus staatlichen Erwägungen ein von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz unverkündet zu lassen, wobei er dasselbe zur nochmaligen Durchberatung und Beschlußfassung an die Staatsversammlung zurückverweist. SEinen diesbezüglichen motivierten Beschluß teilt der Präsident der Republik spätestens im Laufe von dreißig Tagen nach Empfang des Gesetzes mit.

Wenn das Gesetz in der erneuten Beratung und Beschlußfassung von der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates unverändert angenommen wird, oder wenn die Abgeordnetenkammer dasselbe in den Fällen, die im letzten Absatz des § 95 bezeichnet sind, mit einer Stimmenmehrheit von drei Fünfteln ihres gesetzlichen Bestandes annimmt, so verkündet der Präsident der Republik das Gesetz.

Wenn der Präsident der Republik den Beschluß, ein von ihm nicht verkündetes Gesetz an die Staatsversammlung zu nochmaliger Beratung und Beschlußfassung zurückzuverweisen, in einer Zeit gefaßt hat, in der von ihm auf Grund der §§ 68 und 86 die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Staatsrates angeordnet worden ist, so berät und beschließt die neue Staatsversammlung über das Gesetz in der im vorigen Absatz vorgesehenen Ordnung.

§ 97. Abgesehen von der im vierten Absatz des § 96 bezeichneten Ausnahme, gelten Gesetzentwürfe, die beim Ablauf der Vollmachten der Mitglieder der Staatsversammlung noch nicht endgültig angenommen worden sind, in der Staatsversammlung als fortgefallen.

§ 98. Wenn der Präsident der Republik im Interesse des Staates es für notwendig erachtet, in einer wichtigen frage die Stellungnahme des Volkes zu erfahren, so hat er das REcht, mit Zustimmung des Präsidiums der Staatsversammlung diese Frage dem Volk auf dem Wege einer Volksabstimmung zur Beschlußfassung zu unterbreiten. Der Beschluß des Volkes wird mit Stimmenmehrheit der Abstimmungsteilnehmer gefaßt.

Der Beschluß des Volkes ist für die Staatsorgane bindend, und sie müssen unverzüglich dazu schreiten, die aus diesem Beschluß sich ergebenden Anordnungen zu treffen.

Auf dem Wege einer Volksabstimmung in der Ordnung des vorliegenden Paragraphen kann nicht über Angelegenheiten beschlossen werden, die sich auf eine Änderung des Grundgesetzes, auf Abgaben, auf die Staatsverteidigung, auf völkerrechtliche Verträge oder auf die finanziellen Verpflichtungen des Staates beziehen.

§ 99. Der Präsident der Republik kann in der Zeit zwischen den Tagungen der Staatsversammlung im Falle unaufschiebbarer staatlicher Notwendigkeit Gesetze als Dekret erlassen. Die als Dekret erlassenen Gesetze werden zum Beginn der Tagung der Staatsversammlung übersandt, die Gesetze betreffend ihre Änderung oder Außerkraftsetzung annehmen kann. Die Staatsversammlung kann dieses tun, ohne sich an die für die Beantragung von Gesetzentwürfen vorgesehene Ordnung zu halten, wenn die Abgeordnetenkammer im Laufe von zwei Wochen, vom Beginn einer ordentlichen oder außerordentlichen Tagung an gerechnet, beschlossen hat, einen Gesetzentwurf betreffend Änderung oder Außerkraftsetzung des Dekrets in Beratung zu nehmen.

Der Präsident der Republik kann durch Dekret weder in Kraft setzen noch ändern:
1. das Gesetz betreffend die Volksabstimmung;
2. die Gesetze betreffend die Wahl der Abgeordnetenkammer und betreffend die Bildung des Staatsrates;
3. das Gesetz betreffend die Wahl des Präsidenten der Republik;
4. die Geschäftsordnung und das Gesetz, die im § 62 des Grundgesetzes erwähnt werden;
5. die in § 39 Ziffer 7, § 101, § 134 Absatz 2 und § 138 des Grundgesetzes erwähnten Gesetze;
6. die Gesetze betreffend das Gehalt des Präsidenten der Republik und der Mitglieder der Staatsversammlung;
7. die Gesetze betreffend die gerichtliche Belangung des Präsidenten der Republik und der Mitglieder der Regierung der Republik;
8. die Gesetze, die sich auf die Staatskontrolle beziehen;
9. das Gesetz betreffend die Gerichtsverfassung;
10. das Gesetz betreffend den Voranschlag des Staates;
11. die Gesetze, die sich auf äußere und innere Anleihen beziehen;
12. die Gesetze, auf Grund welcher Verträge abgeschlossen oder Verpflichtungen zu Lasten des Staates übernommen werden können, die die Aufnahme neuer Ausgabenposten in den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates für dasselbe Budgetjahr oder für die folgenden Budgetjahre bedingen;
13. die Gesetze, sie sich auf Konzessionen, Monopole und staatliche Fonds beziehen.

Der Präsident der Republik kann den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des States und die Akte, die nach dem Grundgesetz von der Staatsversammlung in der Form von Beschlüssen angenommen werden müssen, durch Dekret weder in Kraft setzen, noch ändern.

§ 100. Kein Gesetz tritt in Kraft, wenn nicht ein Beschluß des Präsidenten der Republik betreffend die Verkündung desselben vorliegt.

Wenn im Gesetz selbst keine andere Ordnung oder Frist vorgesehen ist, tritt das Gesetz am zehnten Tage nach seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger in Kraft.

VIII. Abschnitt.
Die völkerrechtlichen Verträge.

§ 101. Der Präsident der Republik schließt und ratifiziert Verträge mit auswärtigen Staaten.

Vor ihrer Ratifizierung durch den Präsidenten der Republik bedürfen die völkerrechtlichen Verträge der Bestätigung durch die Staatsversammlung. Die völkerrechtlichen Verträge werden der Staatsversammlung durch die Regierung der Republik zur Bestätigung unterbreitet. Durch Gesetz werden die Arten von völkerrechtlichen Verträgen bestimmt, die vor ihrer Ratifizierung keiner Bestätigung durch die Staatsversammlung bedürfen, oder deren Bestätigung in einem besonderen Verfahren erfolgt.

§ 102. Die Bestätigung der völkerrechtlichen Verträge erfolgt durch einen diesbezüglichen Beschluß der Staatsversammlung, der entsprechend den Vorschriften der §§ 94 und 95 des Grundgesetzes gefaßt wird, wobei der Präsident der Republik das Recht hat, zu verlangen, daß die Beschlußfassung über die Bestätigung einzelner völkerrechtlicher Verträge in einer gemeinsamen Sitzung der Staatsversammlung erfolgt.

Die Staatsgrenzen können nur durch völkerrechtliche Verträge, die in dem für Grundgesetzänderungen vorgesehenen Verfahren bestätigt worden sind, geändert werden.

IX. Abschnitt.
Der Staatshaushalt.

§ 103.

§ 104.

§ 105.

§ 106.

§ 107.

X. Abschnitt.
Die Staatskontrolle.

§ 108.

§ 109.

§ 110.

§ 111.

XI. Abschnitt.
Das Gericht.

§ 112.

§ 113.

§ 114.

§ 115.

§ 116.

§ 117.

§ 118.

§ 119.

§ 120.

§ 121.

XII. Abschnitt.
Die Selbstverwaltungen.

I. Teil.
Die örtlichen Selbstverwaltungskörperschaften.

§ 122.

§ 123.

§ 124.

§ 125.

II. Teil.
Die berufsständischen Selbstverwaltungskörperschaften.

§ 126. Zur Betreuung und Förderung der Berufsstände werden auf Grund des Gesetzes diesbezügliche Selbstverwaltungen ins Leben gerufen.

Die Organisation, die Aufgaben, die Befugnisse, die Grundlagen der Wahl und die Überwachung dieser Selbstverwaltungen werden durch Gesetz geregelt. Desgleichen wird die Ordnung der Zusammenarbeit zwischen diesen Selbstverwaltungen und den staatlichen und sonstigen Institutionen durch Gesetz bestimmt.

§ 127. Die berufsständischen Selbstverwaltungen haben auf Grund und in den grenzen des Gesetzes das Recht, auf ihren Tätigkeitsgebieten für die den entsprechenden Selbstverwaltungen angehörigen Personen verbindliche Anordnungen in Kraft zu setzen, sowie von diesen Personen Abgaben zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu erheben.

XIII. Abschnitt.
Der Staatsschutz.

§ 128.

§ 129.

§ 130.

§ 131.

§ 132.

§ 133.

§ 134.

§ 135.

§ 136.

§ 137.

§ 138.

§ 139.

§ 140.

§ 141.

§ 142.

§ 143.

§ 144.

§ 145.

XIV. Abschnitt.
Die Abänderung des Grundgesetzes.

§ 146. Das Recht, eine Grundgesetzänderung einzuleiten, haben der Präsident der Republik und die Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Mitglieder der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates.

§ 147. Grundgesetzänderungen, die gemäß § 146 eingeleitet wurden, werden von der Staatsversammlung so behandelt, wie für die Annahme von Gesetzen vorgeschrieben ist, allein mit dem Unterschied, dass diese von der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Mitglieder in beiden Kammern angenommen werden muss und im dem in § 95 letzter Absatz vorgesehenen Fall von zwei Dritteln der Mitglieder der Abgeordnetenkammer. Nach der Annahme der Grundgesetzänderungen hat der Präsident der Republik unverzüglich die Wahl einer neuen Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Staatsrates anzuordnen, die spätestens drei Monate nach der Annahme der Grundgesetzänderung abgeschlossen sein muss.

Wenn die neue Staatsversammlung die beschlossene Grundgesetzänderung ohne Änderungen nach dem in diesem Paragraphen vorgeschriebenen Verfahren erneut angenommen hat, wird die Grundgesetzänderung dem Präsidenten der Republik zur Verkündigung unterbreitet.

§ 148. Das von der Staatsversammlung in Übereinstimmung mit dem vorstehenden § 147 Absatz 2 angenommene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes wird vom Präsidenten der Republik binnen drei Monaten nach deren Annahme verkündet, es sei denn, der Präsident legt das Gesetz während dieser Zeit dem Volk zur Abstimmung vor.

Der Präsident der Republik kann eine von ihm eingeleitete Grundgesetzänderung zur Volksabstimmung bringen, wenn die neugewählte Staatsversammlung die Grundgesetzänderung nicht gemäß § 147 Absatz 2 innerhalb von drei Monaten nach der ersten Sitzung der neugewählten Staatsversammlung angenommen hat.

§ 149. Lehnt die Staatsversammlung eine Grundgesetzänderung, die vom Präsidenten der Republik eingeleitet wurde, innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage in der Staatsversammlung ab, nimmt sie nicht an, oder trifft keine Entscheidung darüber, kann der Präsident der Republik das Volk aufrufen, durch Volksabstimmung über das Grundsätzliche der Grundgesetzänderung zu entscheiden. Wenn das Volk die Frage mit einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen befürwortet, so sind unverzüglich Wahlen für eine neue Abgeordnetenkammer abzuhalten und der Staatsrat ist neu zu bilden. Die neue Staatsversammlung hat die Grundgesetzänderung innerhalb von sechs Monaten nach ihrer ersten Sitzung zu formulieren und gemäß den allgemeinen Regeln der Gesetzgebung anzunehmen. Die Bestimmungen des vorstehenden § 148 Absatz 1 finden entsprechende Anwendung.

§ 150. Ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes gilt als in einer Volksabstimmung angenommen, wenn die Zahl der Befürworter die Zahl der Gegner des Gesetzes übersteigt.

Wird das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in einer Volksabstimmung angenommen, hat der Präsident der Republik es unverzüglich zu verkünden.

Das genaue Verfahren bei einer Volksabstimmung wird durch Gesetz geregelt.

Zur Übersetzung estnischer Begriffe:
- Eesti = Estland
- Eesti Vabariigi = Estnische Republik oder Republik Estland
- Riigi = Staat
- Vabariigi = Republik
- seadus = Gesetz
- põhiseadus = Grundgesetz
- Konstitutsioon = Verfassung
- Riigi Teataja = Staatsanzeiger, Staatsblatt (Gesetzblatt der Republik seit 1918)

Die estnischen Bezeichnungen der Staatsorgane und ihre mögliche Übersetzung:
- Peaministrist = Ministerpräsident, Premierminister, wörtlich: Oberminister
- Riigikogu = Staatsversammlung, Reichstag, Reichsrat, Staatsrat.
- Riigivolikogust = Abgeordnetenkammer, wörtlich: Staatsvolksversammlung.
- Riiginõukogust = Staatsrat, wörtlich: Staatsratsversammlung.
- Riigikohust = Staatsgericht, Staatsgerichtshof

Die Verfassung von 1937/38 war, nach der parlamentarischen Verfassung von 1920 und der präsidialen Verfassung mit parlamentarisch verantwortlicher Regierung von 1933 (geänderte Verfassung von 1920) eine äußerlich zwar demokratische präsidiale Verfassung, doch durch das Verbot aller Parteien und der Gründung einer (einzig zugelassenen) Staatspartei, Grundlage und die auf dem Recht gegründete Fortsetzung des seit dem Staatsstreich des damaligen Staatsältesten Konstantin Päts von 1934 gegründeten autoritären Staates Estland. 

Die Verfassung wurde von einer Nationalversammlung, die durch Volksentscheid einberufen wurde, ausgearbeitet, und wurde durch Volksentscheid angenommen.

Mit der Verfassung wurden gleichzeitig folgende Gesetze angenommen:
- Gesetz über die Wahl des Präsidenten der Republik (RT 1937, 71, 591),
- Gesetz über die Wahl der Abgeordnetenversammlung (RT 1937, 71, 592),
- Gesetz über die Bildung des Staatsrates (RT 1937, 71, 593),
- die vorläufige Geschäftsordnung der Staatsversammlung (RT 1937, 71, 594),
- das Gesetz über die Geschäftsordnung der Staatsversammlung (RT 1937, 71, 595),
- Gesetz betreffend das Gehalt des Präsidenten der Republik (RT 1937, 71, 596),
- Gesetz betreffend das Gehalt der Mitglieder der Abgeordnetenkammer (RT 1937, 71, 597),
- Gesetz über die Einführung des Grundgesetzes der Republik Estland (Übergangsgesetz, RT 1937, 71, 598).

Nach dem 16. Juni 1940, dem Tag der Verschleppung des verfassungsmäßigen Präsidenten der Republik Estland, Konstantin Päts, durch die sowjetische Armee und der Bildung einer kommunistischen Regierung in Estland faktisch gegenstandslos, doch war sie bis 1992 Grundlage der in Stockholm residierenden "Exil-"Regierung Estlands. In den Jahren 1990 und 1991 wurde sie, neben der Verfassung der Estnischen SSR teilweise wieder in Kraft gesetzt. Durch die teils als autoritär angesehenen Bestimmungen hat das estnische Volk sich für eine neue Verfassung entschieden, die am 29. Juni 1992 in Kraft trat. Die Verfassung von 1992 ist jedoch der Verfassung von 1937 wesentlich ähnlicher, als der Verfassung von 1920.

 


Quellen: Staatsanzeiger (Riigi teataja), 1937, Nr. 590
Zeitschrift für osteuropäisches Recht, 1937/38, S. 205ff.
Dennewitz, Die Verfassungen der modernen Staaten, Band 3, Hamburg 1948
http://hot.ee/evp1938/constitution1938.htm (engl.)
teilw. eigene Übersetzung aus dem Englischen
© 27. Juni 2007 - 20. Juli 2007


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