Grundgesetz der Estnischen Republik
vom 15. Juni 1920
in Kraft getreten am 21. Dezember 1920
geändert durch
Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 (Riigi
teataja 1933, 628, 989); in
Kraft seit 24. Januar 1934
teilweise aufgehoben in Folge
Staatsstreich vom 12. März 1934
durch den amtierenden Staatsältesten
Konstantin Päts
ergänzt durch
Gesetz vom 8. Januar 1936 / Volksabstimmung vom 23-25. Februar 1936 (Riigi
teataja 1936, 22, 42);
betr. die Bildung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung;
dieses Gesetz wurde geändert durch Gesetz vom 14. Oktober 1936 / Volksabstimmung
vom 12.-14. Dezember 1936 (Riigi teataja 1936, 86, 706)
aufgehoben durch
Grundgesetz der Estnischen Republik vom 17. August 1937;
in Kraft seit 1. Januar 1938
Das estnische Volk hat in unwandelbarem Glauben und festem Willen, einen Staat zu schaffen, der auf den Prinzipien der Gerechtigkeit, Gesetzmäßigkeit und Freiheit aufgebaut ist, zum Schutz des inneren und äußeren Friedens und den gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechtern zum Unterpfand des allgemeinen Fortschritts und zu allgemeinem Nutzen folgendes Grundgesetz durch Vermittlung der konstituierenden Versammlung angenommen und bestimmt:
I. Abschnitt.
Allgemeine Bestimmungen.
§ 1. Estland ist eine selbständige, unabhängige Republik, in der die Staatsgewalt in den Händen des Volkes liegt.
§ 2. Das estnische Gebiet besteht aus Harrien, der Wiek, Jerwen, Wierland mit der Stadt Narva und ihrer Umgebung, den Gebieten von Dorpat, Fellin, Pernau, der Stadt Wald, dem gebiet von Werro, dem Gebiet von Petschur sowie den übrigen vom estnischen Volk bewohnten Grenzgebieten des Festlandes, Ösel, Mohn, Dago und den übrigen in estnischen Gewässern befindlichen Inseln und Riffen.
§ 3. Die estnische Staatsgewalt kann niemand anders ausüben als auf Grund des Grundgesetzes und der in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz erlassenen Gesetze.
§ 4. In Estland gelten die von seinen gesetzgebenden Institutionen erlassenen oder anerkannten Gesetze. Die allgemein anerkannten Bestimmungen des Völkerrechts gelten in Estland als untrennbare Bestandteile seiner Rechtsordnung.
Niemand kann sich mit Unkenntnis des Gesetzes entschuldigen.
§ 5. Die Staatssprache der Estnischen Republik ist die estnische.
II.
Abschnitt.
Von den Grundrechten der Bürger Estlands.
§ 6. Alle Bürger Estlands sind vor dem Gesetz gleich. Es kann keine öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Benachteiligungen geben, die von der Geburt, der Konfession, dem Geschlecht, dem Stade oder der Nationalität abhängen. In Estland gibt es keine Stände oder Standestitel.
§ 7. Die Estnische Republik verleiht ihren Bürgern, außer den Schutztruppen zur Kriegszeit, keinerlei Orden oder Ehrenzeichen; auch haben die Bürger Estlands nicht das Recht, Orden oder Ehrenzeichen auswärtiger Staaten anzunehmen.
§ 8. Die Unantastbarkeit der Person ist in Estland garantiert. Niemand kann anders verfolgt werden, als in den in diesen Gesetzen vorgesehen Fällen, und der in diesen vorgesehenen Ordnung. Außer wenn er bei Ausübung eines Verbrechens ertappt wird, darf niemand gefangen genommen oder in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden, es sei denn auf Grund eines Beschlusses der Gerichtsbehörden, wobei dieser Beschluß mit Angabe des Grundes spätestens drei Tage nach der Verhaftung dem Verhafteten mitgeteilt werden muß. Falls in der genannten zeit die Mitteilung des Beschlusses nicht erfolgt ist, hat ein jeder Bürger das Recht zu verlangen, daß der Beschluß den Verhafteten mitgeteilt wird.
Kein Bürger darf gegen seinen Willen statt dem ihm gesetzlich bestimmten Gericht einen anderen überwiesen werden.
§ 9. In Estland kann niemand wegen seiner Taten bestraft werden, es sei denn, daß diese Taten strafbar sind auf Grund der Gesetze, die vor der Verübung dieser Taten in Kraft getreten waren.
§ 10. Die Wohnung ist unantastbar. Ein Eindringen in die Wohnung oder deren Durchsuchung kann nicht anders stattfinden, als in denjenigen Fällen und bei Erfüllung derjenigen Forderungen, die im Gesetz angegeben sind.
§ 11. In Estland herrscht Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist gezwungen, konfessionelle Akte zu verrichten, Mitglied eines konfessionellen Verbandes zu sein oder öffentliche Verpflichtungen zum Besten eines solchen Verbandes zu tragen.
Die Ausübung religiöser Zeremonien ist unbehindert, falls sie nicht der öffentlichen Ordnung und Moral widersprechen.
Die Zugehörigkeit zu einer Konfession und die Weltanschauung können nicht als Entschuldigung gelten bei Verübung eines Verbrechens oder wenn jemand sich der Erfüllung der Bürgerpflichten entzieht.
Eine Staatsreligion gibt es in Estland nicht.
§ 12. Wissenschaft, Kunst und deren Lehre sind in Estland frei. Der Unterricht der schulpflichtigen Kinder ist obligatorisch und in den Volksschulen kostenfrei. Den völkischen Minderheiten wird der muttersprachliche Unterricht garantiert. Die Erteilung des Unterrichts untersteht der staatlichen Kontrolle. Den höheren Lehranstalten wird Autonomie garantiert in den Grenzen, die in den gesetzmäßig bestätigten Statuten dieser Lehranstalten vorgesehen sind.
§ 13. In Estland herrscht Freiheit der Gedankenäußerung in Wort, Schrift, Druck- und bildlicher Darstellung. Diese Freiheit darf nur zum Schutz der Moral und des Staates eingeschränkt werden.
Eine Zensur gibt es in Estland nicht.
§ 14. Das Briefgeheimnis und das Geheimnis der Nachrichtenübermittlung auf postalischem, telegraphischen, telephonischen oder einem sonstigen allgemein üblichen Wege ist in Estland garantiert. Die Gerichtsbehörden haben in den im Gesetz vorgesehen Fällen das Recht, Ausnahmen zu machen.
§ 15. Das Recht, Klagen oder Gesuche an die entsprechenden öffentlichen Institutionen zu richten, ist in Estland garantiert. Hierbei darf keinerlei Druck ausgeübt werden. Die entsprechenden Institutionen sind verpflichtet, solchen Klagen und Gesuchen den gesetzlichen Gang zu geben.
§ 16. Es ist keine vorhergehende Erlaubnis notwendig, um Staatsbeamte zur Verantwortung zu ziehen.
§ 17. Der Verkehr und der Wechsel des Wohnorts in Estland ist frei. In der Betätigung dieser Freiheit darf niemand beschränkt oder behindert werden, es sei denn durch die Gerichtsbehörden.
Aus sanitären Gründen können auch andere Institutionen die Betätigung dieser Freiheit beschränken oder behindern in den Fällen, und in der Ordnung, die in entsprechenden Gesetzen vorgesehen sind.
§ 18. Alle Bürger Estlands haben das Recht, ohne Ruhestörung und unbewaffnet Versammlungen abzuhalten.
Die Bildung von Vereinen und Verbänden ist in Estland frei. Das Streikrecht ist in Estland garantiert.
Diese Rechte können durch das Gesetz nur im Interesse der öffentlichen Sicherheit beschränkt werden.
§ 19. Die Freiheit, einen Lebensberuf zu wählen und Unternehmungen landwirtschaftlichen, kommerziellen und industriellen sowie sonstigen wirtschaftlichen Charakters zu eröffnen und zu betreiben, ist in Estland garantiert.
§ 20. Jeder Bürger Estlands ist frei in der Bestimmung seiner Nationalität. In den Fällen, in denen eine persönliche Bestimmung nicht möglich ist, wird nach der im Gesetz vorgesehenen Ordnung verfahren.
§ 21. Die Angehörigen der innerhalb der Grenzen Estlands wohnenden völkischen Minderheiten können zur Wahrung ihrer völkischen Kultur- und Fürsorgeinteressen, soweit diese nicht den Staats-Interessen zuwiderlaufen, entsprechende autonome Institutionen ins Leben rufen.
§ 22. An den Orten, wo die Mehrheit der Einwohner nicht der estnischen, sondern der örtlichen Minderheitsnationalität angehört, kann die Geschäftssprache der örtlichen Selbstverwaltungsinstitutionen die Sprache dieser völkischen Minderheit sein, wobei jedermann das Recht hat, in diesen Institutionen die Staatssprache anzuwenden. Die örtlichen Selbstverwaltungsinstitutionen, in denen die Sprache einer völkischen Minderheit angewandt wird, müssen die Staatssprache in ihrem Verkehr mit den staatlichen Institutionen anwenden, sowie auch mit denjenigen anderen Selbstverwaltungsinstitutionen, in denen nicht die Sprache derselben völkischen Minderheit angewandt wird.
§ 23. Die Bürger der deutschen, russischen und schwedischen Nationalität haben das Recht, sich schriftlich in ihrer Sprache an die staatlichen Zentralinstitutionen zu wenden. Der Gebrauch der Sprache dieser Nationalitäten vor Gericht und in den örtlichen Selbstverwaltungsinstitutionen, wird durch ein Spezialgesetz im einzelnen geregelt.
§ 24. Das Privateigentum ist in Estland jedem Bürger garantiert. Ohne Einverständnis des Eigentümers kann dieser nur im allgemeinen Interesse auf Grund der Gesetze und in der gesetzlich vorgesehenen Ordnung enteignet werden.
§ 25. Die Organisation des wirtschaftlichen Lebens im Estland muß gerechten Prinzipien entsprechen, deren Zweck die Garantie einer menschenwürdigen Lebenshaltung durch entsprechende Gesetze ist, die die Landzuteilung zwecks Bearbeitung, die Erlangung einer Wohn- und Arbeitsstätte, sowie Selbstschutz, Arbeitsschutz, und die Erlangung der nötigen Jugend- und Altersunterstützung sowie der Unterstützung bei Arbeitsunfähigkeit oder bei Unglücksfällen betreffen.
§ 26. Die Aufzählung der Freiheiten und Rechte der Bürger in den vorstehenden §§ (6-24) beseitigt nicht andere Rechte, die aus dem Grundgedanken dieses Grundgesetzes sich ergeben bzw. mit diesem übereinstimmen.
Außerordentliche Beschränkungen der Freiheiten und Grundrechte der Bürger treten in Kraft in gesetzlicher Ordnung auf Grund und in den Grenzen der entsprechenden Gesetze anläßlich des auf eine bestimmte Dauer proklamierten Schutzzustandes.
§ 27. Das höchste ausübende Organ der Staatsgewalt in Estland ist das Volk selbst in Gestalt seiner stimmberechtigten Bürger. Stimmberechtigt ist jeder Bürger, der 20 Jahre alt geworden und ununterbrochen wenigstens ein Jahr lang Bürger Estlands gewesen ist.
§ 28. Nicht stimmberechtigt sind die Bürger:
1. die in gesetzlicher Ordnung für schwachsinnig oder wahnsinnig erklärt sind,
und
2. Blinde, Taubstumme und Verschwender, wenn sie unter Vormundschaft stehen.
Das Stimmrecht wird gewissen Kategorien von Kriminalverbrechern entzogen, auf Grund des Wahlgesetzes für die Staatsversammlung.
§ 29. Das Volk übt die Staatsgewalt aus:
1. durch Volksabstimmung,
2. durch Initiative des Volkes und
3. durch Wahl der Staatsversammlung.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 wurde im §
29 nach dem Wort "Staatsversammlung" hinzugefügt:
"und
4. der Wahl des Staatsältesten"
§ 30. Jedes von der Staatsversammlung angenommene Gesetz bleibt zwei Monate lang, vom Tage seiner Annahme an gerechnet, unveröffentlicht, wenn das ein Drittel des gesetzmäßigen Bestandes der Staatsversammlung es fordert. Falls im Laufe dieser Zeit 25000 stimmberechtigte Bürger fordern, daß das genannte Gesetz dem Volke zur Annahme oder Ablehnung vorgelegt werde, so hängt die spätere Veröffentlichung desselben vom Ergebnis der Volksabstimmung ab.
§ 31. Die Volksinitiative betreffend haben 25000 stimmberechtigte Bürger das Recht zu fordern, daß ein Gesetz erlassen, abgeändert oder für ungültig erklärt werde. Eine diesbezügliche Forderung wird als ausgearbeiteter Gesetzentwurf der Staatsversammlung übergeben. Die Staatsversammlung kann den Entwurf als Gesetz erlassen oder aber ablehnen. Im letzteren Fall wird der Entwurf dem Volke zur Annahme oder Ablehnung auf dem Wege der Volksabstimmung vorgelegt. Nimmt die Mehrheit der Teilnehmer an der Volksabstimmung den Entwurf an, so erlangt dieser gesetzliche Kraft.
§ 32. Wenn das Volk ein von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz ablehnt oder ein von der Staatsversammlung abgelehntes Gesetz annimmt, werden Neuwahlen zur Staatsversammlung ausgeschrieben, die spätestens 75 Tage nach der Volksabstimmung stattfinden.
§ 33. Die Volksabstimmungen werden unter Aufsicht des Präsidiums der Staatsversammlung vorgenommen. Die Grundbestimmungen und die Ordnung der Volksabstimmung werden durch ein Spezialgesetz festgestellt.
§ 34. Die Aufstellung des Budgets, der Abschluß von Anleihen, die Steuergesetze, Kriegserklärung und Friedensschluß, die Proklamierung und Aufhebung des Schutzzustandes, die Anordnung der Mobilisation und Demobilisation, sowie Verträge mit auswärtigen Staaten kompetierten nicht vor die Volksabstimmung und können auch nicht auf dem Wege der Volksinitiative zur Entscheidung gelangen.
IV. Abschnitt.
Die Staatsversammlung.
§ 35. Als Vertreter des Volkes übt die Staatsversammlung die gesetzgebende Gewalt aus.
§ 36. Die Staatsversammlung hat 100 Mitglieder, die vermittelst allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Abstimmung auf Grund des proportionalen Systems gewählt werden. Die Staatsversammlung hat das Recht, die Zahl seiner Glieder zu vergrößern, ein diesbezügliches Gesetz tritt bei den nächstfolgenden Wahlen zur Staatsversammlung in Kraft.
Das Wahlgesetz für die Staatsversammlung wird als Spezialgesetz herausgegeben.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 36 Abs. 1 folgende Fassung:
"Die Staatsversammlung hat fünfzig Mitglieder, die vermittelst allgemeiner,
gleicher, direkter und geheimer Abstimmung auf Grund des proportionalen Systems
gewählt werden, jedoch so, daß der Wähler die Möglichkeit hat, einzelne Personen
zu wählen."
§ 37. Das Recht, an der Wahl der Glieder der Staatsversammlung teilzunehmen oder sich zum Mitglied der Staatsversammlung wählen zu lassen, hat jeder Bürger Estlands, der stimmberechtigt ist.
§ 38. Die Glieder der Staatsversammlung, ausgenommen die Gehilfen der Glieder der Regierung, dürfen kein Amt bekleiden, welches von der Regierung oder ihren Institutionen besetzt wird.
§ 39. Alle drei Jahre werden Neuwahlen zur Staatsversammlung vorgenommen. Die Vollmachten der Glieder der Staatsversammlung gelten vom Tage der Veröffentlichung des Staatsversammlungs-Wahlergebnisses an.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 39 folgende Fassung:
"§ 39. Alle vier Jahre werden Neuwahlen zur Staatsversammlung
vorgenommen.
Der Staatsälteste hat das Recht, vor Ablauf der vier Jahre Neuwahlen in die
Staatsversammlung anzuordnen, falls staatliche Erwägungen dies erforderlich
machen. In diesem Fall müssen die Wahlen spätestens im Lauf von sechs Monaten,
gerechnet vom Tage der Verkündung der Anordnung stattfinden.
Die Vollmachten der Glieder der Staatsversammlung gelten vom Tage der
Veröffentlichung des Staatsversammlungs-Wahlergebnisses an."
§ 40. Wenn ein Glied der Staatsversammlung sein Wahlrecht verliert, wenn es mit Genehmigung der Staatsversammlung verhaftet ist oder durch den Tod bzw. durch Niederlegung seines Mandats ausgeschieden ist, tritt an seine Stelle ine neues Glied auf Grund der im Wahlgesetz vorgesehenen Ordnung, bis zu dem im vorigen Paragraphen vorgesehenen Termin.
§ 41. Die Staatsversammlung tritt zu der ordentlichen Session am ersten Montage im Oktober jedes Jahres zusammen.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 41 folgende Fassung:
"§ 41. Die Staatsversammlung tritt zu der ordentlichen Session am
ersten Montage im Oktober jeden Jahres zusammen und dauern nicht länger als
sechs Monate.
Der Staatsälteste hat das Recht, die ordentlichen Tagungen der Staatsversammlung
vor Ablauf von sechs Monaten zu beenden, wenn dies durch staatliche Erwägungen
erforderlich gemacht wird."
§ 42. Das Präsidium der Staatsversammlung kann die Staatsversammlung auch zu außerordentlichen Sessionen einberufen, wenn die Umstände es erfordern. Es muß dies tun auf Verlangen der Regierung oder eines Viertels des gesetzmäßigen Bestandes der Staatsversammlung.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 42 folgende Fassung:
"§ 42. Auf schriftliches Verlangen von seiten des Staatsältesten
oder von fünfundzwanzig Mitgliedern der Staatsversammlung ist das Präsidium der
Staatsversammlung verpflichtet, die Staatsversammlung zu außerordentlichen
Tagungen einzuberufen.
In der Zwischenzeit von dem Ablauf der vierjährigen Amtsdauer der
Staatsversammlung oder der Anordnung neuer Staatsversammlungswahlen durch den
Staatsältesten bis zur Verkündung der Ergebnisse der Staatsversammlungswahlen
kann die Staatsversammlung nur auf Verlangen des Staatsältesten zu einer
außerordentlichen Tagung einberufen werden.
Die Dauer der außerordentlichen Tagung der Staatsversammlung bestimmt der
Staatsälteste."
§ 43. Die Staatsversammlung wählt auf ihrer ersten Sitzung nach der Wahl den Präsidenten und die übrigen Glieder des Präsidiums.
Diese Sitzung leitet bis zur Wahl des Präsidenten der bisherige Präsident der Staatsversammlung.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 43 folgende Fassung:
"§ 43. Die Staatsversammlung wählt auf ihrer ersten Sitzung nach der
Wahl den Vorsitzenden und die übrigen Glieder des Präsidiums. Diese Sitzung
leitet bis zur Wahl des Vorsitzenden das älteste Mitglied der
Staatsversammlung."
§ 44. Die Staatsversammlung erläßt seine Hausordnung, die als Gesetz veröffentlicht wird.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 44 folgende Fassung:
"§ 44. Die Geschäftsordnung der Staatsversammlung wird als Gesetz
verkündet."
§ 45. Die Glieder der Staatsversammlung sind durch die Mandate nicht gebunden.
§ 46. Die Staatsversammlung ist beschlußfähig, wenn wenigstens die Hälfte seiner Glieder nach dem gesetzmäßigen Bestande versammelt sind.
§ 47. Die Sitzungen der Staatsversammlung sind öffentliche. Nur in außerordentlichen Fällen, wenn zwei Drittel der anwesenden Glieder damit einversanden sind, kann die Staatsversammlung geschlossene Sitzungen anberaumen.
§ 48. Ein Glied der Staatsversammlung trägt keine Verantwortung, - außer der in der Hausordnung vorgesehenen - für politische Äußerungen, die es in der Staatsversammlung und in dessen Kommissionen getan hat.
§ 49. Ohne Einwilligung der Staatsversammlung kann keins seiner Glieder verhaftet werden, ausgenommen die Fälle, wo es auf frischer Tat ertappt wird. In solchen Fällen wird über die Verhaftung und deren Gründe im Laufe von höchstens 48 Stunden dem Präsidium der Staatsversammlung Mitteilung gemacht; das Präsidium seinerseits legt den Fall in der nächsten Sitzung der Staatsversammlung zur Beschlußfassung vor.
Die Staatsversammlung ist berechtigt, eine einem seiner Glieder auferlegte Verhaftung oder sonstige Beschränkung bis zum Ende der Sessionsperiode oder bis zum Erlöschen der Mandate aufzuschieben.
§ 50. Die Glieder der Staatsversammlung werden für die Dauer ihrer Vollmachten vom staatlichen Schutzdienst befreit.
§ 51. Die Glieder der Staatsversammlung erhalten Fahrgelder und ein Gehalt, dessen Höhe durch ein Gesetz bestimmt wird und das von der Staatsversammlung nur für den nächstfolgenden Bestand verändert werden kann.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 51 folgende Fassung:
"§ 51. Die Glieder der Staatsversammlung erhalten für die Ausübung
der Pflichten eines Mitglieds der Staatsversammlung eine Vergütung während der
Dauer der Tagungen der Staatsversammlung. Die Grundlagen und die Höhe dieser
Vergütung werden durch ein Gesetz bestimmt, das nur für die nächstfolgenden
Bestände der Staatsversammlung abgeändert werden kann."
§ 52. Die Staatsversammlung erläßt Gesetze, setzt den Voranschlag der staatlichen Einnahmen und Ausgaben fest, entscheidet über Aufnahmen von Anleihen und über sonstige Fragen nach Maßgabe des Grundgesetzes.
§ 53. Die von der Staatsversammlung angenommenen Gesetze werden vom Präsidium der Staatsversammlung veröffentlicht.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 53 folgende Fassung:
"§ 53. Die von der Staatsversammlung oder durch Volksabstimmung
angenommenen Gesetze stellt das Präsidium der Staatsversammlung dem
Staatsältesten zur Verkündung vor.
Der Staatsälteste hat das Recht, von der Staatsversammlung angenommene Gesetze
aus staatlichen Erwägungen unverkündet zu lassen, indem er sie der
Staatsversammlung zur erneuten Durchberatung und Beschlußfassung zurückgibt. Die
im § 34 der Verfassung vorgesehenen Gesetze kann der Staatsälteste aus
staatlichen Erwägungen so lange unverkündet lassen, bis die Staatsversammlung
sie entweder mit den vom Staatsältesten gewünschten Abänderungen angenommen hat
oder bis die Staatsversammlung nach den nächsten Wahlen dasselbe Gesetz erneut
annimmt.
Von seinem Beschluß, betreffend die Nichtverkündung eines Gesetz nebst den die
Sache betreffenden Erwägungen, macht der Staatsältestes dem Präsidium der
Staatsversammlung spätestens im Lauf von dreißig Tagen, gerechnet vom Empfang
des Gesetzes an, Mitteilung."
§ 54. Ein Gesetz tritt in Kraft, falls im Gesetz selbst nichts anderes vorgesehen ist, am 10. Tage nach seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 54 folgende Fassung:
"§ 54. Kein Gesetz tritt ohne Verkündung in Kraft.
Falls im Gesetz selbst keine andere Ordnung und kein anderer Termin vorgesehen
ist, tritt es am zehnten Tage nach seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger in
Kraft."
§ 55. Die Staatsversammlung übt die Kontrolle über die wirtschaftliche Tätigkeit der Staatsinstitutionen und -unternehmungen und über die Realisierung des Staatsvoranschlags aus durch von ihr zu schaffende entsprechende Institutionen.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 55 folgende Fassung:
"§ 55. Die Staatsversammlung übt die Kontrolle über die
wirtschaftliche Tätigkeit der Staatsinstitutionen und -unternehmungen und über
die Realisierung des Staatsvoranschlags aus durch von ihr aufgrund des Gesetzes
zu schaffende entsprechende Institutionen."
§ 56. Jedes Glied der Staatsversammlung hat das Recht, während der Sitzung der Staatsversammlung Anfragen an die Regierung zu richten. Ein Viertel des gesetzmäßigen Bestandes der Staatsversammlung hat das Recht, die Regierung zu interpellieren, worauf eine Erklärung abzugeben werden muß.
V.
Abschnitt.
Von der Regierung.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der V. Abschnitt folgende Überschrift:
"V. Abschnitt.
Vom Staatsältesten und von der Regierung der Republik."
§ 57. Die vollziehende Gewalt in Estland übt die Regierung der Republik aus.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 57 folgende Fassung:
"§ 57. Als Vertreter des Volkes übt der Staatsälteste die höchste
Regierungsgewalt im Staate aus. Neben dem Staatsältesten besteht zwecks
Verwaltung des Staates die Regierung der Republik."
§ 58. Die Regierung besteht aus dem Staatsältesten und den Ministern. Die Zahl der Minister, die Arbeitsteilung zwischen ihnen und die spezielle Geschäftsordnung wird in einem Spezialgesetz festgesetzt.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 58 folgende Fassung:
"§ 58. Der Staatsälteste wird vom Volk in allgemeiner, gleicher,
direkter und geheimer Wahl auf fünf Jahre gewählt.
Erhält im ersten Wahlgang kein Kandidat die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen,
so findet spätesten im Lauf von drei Monaten ein zweiter Wahlgang statt. Für den
zweiten Wahlgang können neue Kandidaten aufgestellt werden. Im zweiten Wahlgang
gilt als gewählt der Kandidat, der die meisten Stimmen erhalten hat. Haben
mehrere Kandidaten gleichviel Stimmen erhalten, so gilt als gewählt derjenige,
der älter ist.
Zum Staatsältesten wählbar ist jeder stimmberechtigte Bürger, der wenigstens
vierzig Jahre als und von wenigstens zehntausend stimmberechtigten Bürgern als
Kandidat aufgestellt worden ist. Die nähere Ordnung der Wahl des Staatsältesten
wird durch ein Gesetz bestimmt."
§ 59. Die Staatsversammlung beruft die Regierung ins Amt und entläßt sie aus demselben. Im Falle des Ausscheidens eines Ministers erfüllt seine Obliegenheiten bis zum Amtsantritt eines neuen Ministers eines der Regierungsglieder, das von der Regierung damit beauftragt wird.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 59 folgende Fassung:
"§ 59. Die Vollmachten des Staatsältesten beginnen mit der Ablegung
eines feierlichen Gelöbnisses vor der Staatsversammlung, welches folgendermaßen
lautet:
"Indem ich, N. N. auf Grund des Volkswillens das Amt des
Staatsältesten antrete, gelobe ich feierlich, die Verfassung und die Gesetze der
Estnischen Republik treu zu schützen, gerecht und unparteiisch die mir
übertragenen Vollmachten auszuüben und im Rahmen dieser Vollmachten mit aller
Kraft und nach bestem Wissen zum Wohl des estnischen Staates und Volkes zu
arbeiten."
Das Amt des Staatsältesten kann mit keinerlei anderen Dienst- oder
Berufsobliegenheiten verbunden werden. Wird ein Mitglied der Staatsversammlung
zum Staatsältesten gewählt, so gilt es mit der Ablegung des feierlichen
Gelöbnisses als aus der Staatsversammlung ausgeschieden.
Das Gehalt, welches der Staatsälteste während der Dauer seiner Amtszeit bezieht,
wird durch ein Gesetz bestimmt, das nur in bezug auf den bei der nächsten Wahl
zu wählenden Staatsältesten abgeändert werden kann.
Ist das Amt des Staatsältesten vakant oder vermag der Staatsälteste wegen
Krankheit oder anderer Hindernisse seine Obliegenheiten nicht zu erfüllen, so
werden diese Obliegenheiten vom Ministerpräsidenten versehen. Ist das Amt des
Staatsältesten vakant oder sind die Hindernisse dauernder Art, so wird möglichst
bald zur Wahl eines neuen Staatsältesten geschritten."
§ 60. Die Regierung leitet die Innen- und
Außenpolitik des Staates und trägt für die äußere Unantastbarkeit des Staates,
die innere Sicherheit und die Erfüllung der Gesetze Sorge. Sie
1. stellt den Jahresvoranschlag der staatlichen Einnahmen und Ausgaben auf und
unterbreitet ihn der Staatsversammlung zur Bestätigung;
2. ernennt und entläßt sowohl die Militär- als auch die Zivilbeamten, insoweit
das auf Grund der Gesetze nicht anderen Institutionen übertragen ist;
3. schließt im Namen der Estnischen Republik Verträge mit auswärtigen Staaten ab
und legt sie der Staatsversammlung zur Bestätigung vor;
4. erklärt den Krieg und schließt Frieden auf einen entsprechenden Beschluß der
Staatsversammlung;
5. proklamiert den Schutzzustand sowohl in einzelnen Gebieten des Staates, als
auch im ganzen Staat, und legt diesen Beschluß zur Bestätigung der
Staatsversammlung vor;
6. unterbreitet der Staatsversammlung Gesetzentwürfe;
7. erläßt im Einklang mit den Gesetzen Bestimmungen und Verordnungen;
8. entscheidet über Gnadengesuche.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 60 folgende Fassung:
"§ 60. Der Staatsälteste leitet die Innen- und Außenpolitik des
Staates, trägt Sorge für seine äußere Unantastbarkeit, seine innere Sicherheit
und die Erfüllung der Gesetze.
Der Staatsälteste hat außer den sonstigen in der Verfassung vorgesehen Aufgaben
nachstehende Befugnisse:
1. er vertritt die Estnische Republik, ernennt die Vertreter der Estnischen
Republik in den auswärtigen Staaten und empfängt die Vertreter der auswärtigen
Staaten,
2. er überwacht die Ausübung der Staatsgewalt in der gesetzlich vorgesehenen
Ordnung,
3. er legt der Staatsversammlung den Voranschlag der staatlichen Einnahmen und
Ausgaben zur Bestätigung vor,
4. er ernennt und entläßt sowohl die Militär- als auch die Zivilbeamten,
insoweit das auf Grund der Gesetze nicht anderen Institutionen übertragen ist,
5. er schließt im Namen der Estnischen Republik Verträge mit auswärtigen Staaten
und unterbreitet dieselben der Staatsversammlung zur Bestätigung,
6. er erklärt den Krieg und schließt Frieden auf Grund eines diesbezüglichen
Beschlusses der Staatsversammlung,
7. er proklamiert den Schutzzustand sowohl in einzelnen Gebieten des STaates,
als auch im ganzen Staat, und legt diesen Beschluß zur Bestätigung der
Staatsversammlung vor;
8. er ist der oberste Führer der Wehrmacht,
9. er entscheidet über Gnadengesuche betreffend die Verringerung oder den Erlaß
vom Gericht verhängter Strafen,
10. er erläßt im Einklang mit den Gesetzen Verordnungen,
11. er unterbreitet der Staatsversammlung Gesetzentwürfe;
12. im Fall unaufschiebbarer staatlicher Notwendigkeit verkündet er
Gesetzentwürfe als Dekrete, die Gesetzeskraft besitzen. Durch Dekret können
nicht abgeändert werden die Gesetze über Volksabstimmungen, die Volksinitiative,
die Wahl der Staatsversammlung sowie die Wahl des Staatsältesten. Das Dekret
ist gültig bis zu seiner Aufhebung durch den Staatsältesten oder durch die
Staatsversammlung."
§ 61. Der Staatsälteste vertritt die Estnische Republik, leitet und vereinheitlicht die Tätigkeit der Regierung, leitet die Sitzungen der Regierung und kann die einzelnen Minister in bezug auf ihre Tätigkeit interpellieren.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 61 folgende Fassung:
"§ 61. Die Beschlüsse des Staatsältesten müssen, um gültig zu sein,
vom Staatsältesten und - mit Ausnahme der Amtseinsetzung und Entlassung der
Regierung der Republik oder eines ihrer Mitglieder, der Anordnung neuer
Staatsversammlungswahlen vor Ablauf von vier Jahren, der Beendigung ordentlicher
Tagungen der Staatsversammlung, der Festsetzung der Dauer außerordentlicher
Tagungen der Staatsversammlung und der Bestätigung der Staatsrichter und Richter
im Amt - auch vom Ministerpräsidenten oder dem zuständigen Fachminister
unterzeichnet sein, der für den Beschluß vor der Staatsversammlung
verantwortlich ist.
Ist der Beschluß des Staatsältesten verfassungs- oder gesetzwidrig, so ist der
Ministerpräsident oder der zuständige Fachminister verpflichtet, die
Gegenzeichnung des Beschlusses zu verweigern."
§ 62. Die Regierung bestimmt aus der Zahl ihrer Glieder einen Stellvertreter des Staatsältesten.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 62 folgende Fassung:
"§ 62. Die Beschlüsse des Staatsältesten werden von der Regierung
der Republik auf Antrag des Ministerpräsidenten oder des zuständigen
Fachministers zur Ausführung angenommen.
Findet der vortragende Minister, daß der Beschluß des Staatsältesten
verfassungs- oder gesetzwidrig ist, so macht er hiervon der Regierung der
Republik Mitteilung. Schließt sich die Regierung der Republik nach Erwägung der
Sache der Meinung des vortragenden Ministers an, so ersucht sie den
Staatsältesten um die Rücknahme oder Abänderung des Beschlusses. Bleibt der
Staatsälteste bei seinem Beschluß, so ist die Regierung der Republik
verpflichtet, ihm zu erklären, daß der Beschluß nicht ausführbar sei."
§ 63. Die Sitzungen der Regierung sind geschlossen. Nur bei besonderen festlichen Gelegenheiten können sie als öffentliche proklamiert werden.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 63 folgende Fassung:
"§ 63. Die Regierung der Republik muß das Vertrauen der
Staatsversammlung und des Staatsältesten besitzen.
Die Regierung der Republik oder ihre einzelnen Mitglieder scheiden aus dem Amt,
wenn die Staatsversammlung ihnen ein ausdrückliches Mißtrauensvotum erteilt und
der Staatsälteste es darauf nicht für notwendig erachtet, neue
Staatsversammlungswahlen anzuordnen."
§ 64. Die Regierung muß das Vertrauen der Staatsversammlung besitzen. Die Regierung oder ihre einzelnen Glieder scheiden aus dem Amt, wenn die Staatsversammlung ihnen direkt ein Mißtrauensvotum erteilt hat.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 64 folgende Fassung:
"§ 64. Die Regierung der Republik wird durch den Staatsältesten ins
Amt berufen.
Die Regierung der Republik wird vom Staatsältesten auf eigene Initiative oder
auf Vorschlag des Ministerpräsidenten oder auf Grund eines Mißtrauensvotums der
Staatsversammlung aus dem Amt entlassen.
Die Regierung der Republik besteht aus dem Ministerpräsidenten und den
Ministern. Der Staatsälteste ernennt aus der Zahl der Minister einen
Stellvertreter des Ministerpräsidenten.
Der Ministerpräsident vereinheitlicht die Tätigkeit der Regierung der Republik,
leitet die Sitzungen der Regierung der Republik, wenn der Staatsälteste es nicht
für notwendig erachtet, dies selbst zu tun, kann von den einzelnen Ministern in
bezug auf ihre Tätigkeit Rechenschaft verlangen und die Entlassung einzelner
Minister wie auch der ganzen Regierung der Republik beantragen.
Jeder Minister ist der Leiter seines Ministeriums. Die Anzahl der Minister, die
Arbeitsteilung zwischen den Ministeriums und ihre Geschäftsordnung wird
gesetzlich bestimmt.
Die Sitzungen der Regierung sind geschlossen. Nur bei besonders festlichen
Gelegenheiten können sie als öffentliche proklamiert werden."
§ 65. Bei der Regierung befindet sich die Regierungskanzlei, die unter Aufsicht des Staatsältesten steht. Die Leitung der Regierungskanzlei liegt in den Händen des Staatssekretärs, den die Regierung ernennt.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 65 folgende Fassung:
"§ 65. Zu den Befugnissen der Regierung der Republik gehören: die
Ausführung der Beschlüsse des Staatsältesten auf Grund der Verfassung, die
Beratung und Entscheidung der Angelegenheiten, die ihr auf Grund der Gesetze
übertragen sind, sowie die übrigen Fragen auf dem Gebiet der Staatsverwaltung,
die nicht durch Verfassung oder Gesetze dem Staatsältesten oder einem der
Minister als Leiter seines Ministeriums oder irgend einer unterstellten Behörde
übertragen sind.
Wenn die Regierung der Republik findet, daß ihr Recht zur endgültigen
Entscheidung irgendeiner Frage strittig ist, so wird diese Kompetenzfrage vom
Staatsältesten entschieden."
§ 66. Alle Regierungsakte, die von der Regierung ausgehen, müssen die Unterschrift des Staatsältesten, des entsprechenden Ministers und des Staatssekretärs tragen.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 66 folgende Fassung:
"§ 66. Beim Staatsältesten befindet sich die für ihn und die
Regierung der Republik gemeinsame Staatskanzlei.
Die Staatskanzlei leitet der Staatssekretär, den der Staatsälteste ernennt."
§ 67. Wegen amtlicher Vergehen können der Staatsälteste und die Minister nur auf Grund eines entsprechenden Beschlusses der Staatsversammlung zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 67 folgende Fassung:
"§ 67. Der Staatsälteste, der Ministerpräsident, und die Minister
können nur auf Grund eines entsprechenden Beschlusses der Staatsversammlung zur
gerichtlichen Verantwortung gezogen werden. Die Verhandlung der Angelegenheit
unterliegt dem Staatsgericht. Das Verfahren der Verantwortlichmachung und der
Verhandlung der Angelegenheit wird durch ein Gesetz bestimmt."
§ 68. Die Rechtsprechung in Estland vollziehen die Gerichte, die in Erfüllung ihrer Tätigkeit unabhängig sind.
§ 69. Die oberste Gerichtsgewalt in Estland übt das Staatsgericht aus, das aus von der Staatsversammlung gewählten Staatsrichtern besteht.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 69 folgende Fassung:
"§ 69. Die oberste Gerichtsgewalt in Estland über das Staatsgericht
aus. Die Staatsrichter werden vom Staatsältesten aus der Zahl der vom
Staatsgericht vorgestellten Kandidaten im Amt bestätigt."
§ 70. Die Richter werden, sofern sie nach dem Gesetz nicht zu wählen sind, vom Staatsgericht ernannt.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 70 folgende Fassung:
"§ 70. Die Richter werden, sofern sie nach dem Gesetz nicht zu
wählen sind, auf Antrag des Staatsgerichts vom Staatsältesten in ihrem Amt
bestätigt."
§ 71. Die Richter können nur auf gerichtlichem Wege ihres Amtes enthoben werden.
Die Richter können wider ihren Willen von einem Ort an den anderen versetzt werden nur in Fällen, die durch Erfüllung des Gesetzes bedingt sind.
§ 72. Die Richter dürfen kein besoldetes Nebenamt bekleiden, außer in den im Gesetz vorgesehen Fällen.
§ 73. Gewisse Kategorien von Kriminalsachen unterstehen auf Grund entsprechender Gesetze den Geschworenengerichten. Die Richter des Geschworenengerichts sind durch die Forderung des vorigen Paragraphen nicht gebunden.
§ 74. Spezialgerichte sind in den Grenzen des entsprechenden Gesetzes nur zur Kriegszeit, während des Schutzzustandes und auf Kriegsschiffen zulässig.
VII. Abschnitt.
Von der Selbstverwaltung.
§ 75. Durch die Selbstverwaltungsinstitutionen übt die Staatsgewalt am Orte die Verwaltung aus, insoweit dazu nicht durch das Gesetz spezielle Institutionen geschaffen sind.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 75 folgende Fassung:
"§ 75. Durch die Stadt-, Flecken- und Gemeindeselbstverwaltungen übt
die Staatsgewalt am Orte die Verwaltung aus, insoweit nicht dazu durch Gesetz
besondere Behörden geschaffen sind."
§ 76. Die Vertretungen der Selbstverwaltungseinheiten werden auf dem Wege der allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Abstimmung auf der Grundlage des Proportionalsystems gewählt.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 76 folgende Fassung:
"§ 76. Die Vertretungen der Selbstverwaltungseinheiten werden auf
dem Wege der allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Abstimmung auf der
Grundlage des Proportionalsystems gewählt, jedoch so, daß der Wähler die
Möglichkeit hat, einzelne Personen zu wählen."
§ 77. Die Selbstverwaltungseinheiten haben das Recht, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Steuern festzusetzen und Lasten aufzuerlegen in den Grenzen und in der Ordnung, die vom Gesetz bestimmt sind.
VIII. Abschnitt.
Vom Staatsschutze.
§ 78. Alle Bürger Estlands sind verpflichtet, sich am Schutze der Republik zu beteiligen, auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind.
§ 79. Zum Schutz der Republik werden Schutztruppen gebildet, deren Organisation durch ein Sondergesetz bestimmt wird.
§ 80. Im Falle der Anordnung einer Mobilisation wie auch zu Beginn des Krieges geht die Führung der Schutztruppen von der Regierung in die Hände eines von ihr ernannten besonderen Oberbefehlshabers der Schutztruppen über, dessen Kompetenzen durch ein Sondergesetz bestimmt werden.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 80 folgende Fassung:
"§ 80. Im Falle der Anordnung einer Mobilisation wie auch zu Beginn
des Kriegs geht die Führung der Schutztruppen auf den vom Staatsältesten
ernannten Oberbefehlshaber der Wehrmacht über, dessen Kompetenzen durch ein
Gesetz bestimmt werden."
§ 81. Die Regierung hat das Recht, die Schutztruppen betreffende Verordnungen und Bestimmungen zu erlassen, in der im Sondergesetz vorgesehenen Ordnung und auf der vorgesehenen Grundlage.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 81 folgende Fassung:
"§ 81. Der Staatsälteste hat das Recht, die Schutztruppen
betreffende Dekretsgesetze und Verordnungen zu erlassen, in der im Sondergesetz
vorgesehenen Ordnung und auf der vorgesehenen Grundlage."
§ 82. Die Anordnung einer Mobilisation der Schutztruppen der Republik wird von der Staatsversammlung beschlossen.
Die Regierung hat das Recht, ohne einen Beschluß der Staatsversammlung abzuwarten, die Anordnung der Mobilisation zu erlassen, wenn ein auswärtiger Staat der Republik einen Krieg erklärt hat, die Feindseligkeiten begonnen oder eine Mobilisation gegen die Republik angeordnet hat.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 82 folgende Fassung:
"§ 82. Die Anordnung der Mobilisation der Schutztruppen der Republik
wird von der Staatsversammlung beschlossen.
Der Staatsälteste hat das Recht, ohne einen diesbezüglichen Beschluß der
Staatsversammlung abzuwarten, die Anordnung der Mobilisation zu erlassen, wenn
ein auswärtiger Staat der Republik einen Krieg erklärt hat, die Feindseligkeiten
begonnen oder eine Mobilisation gegen die Republik angeordnet hat."
IX.
Abschnitt.
Von den Staatssteuern und dem Voranschlage.
§ 83. Öffentliche Steuern udn Lasten dürfen niemandem anders auferlegt werden, außer auf Grund eines diesbezüglichen Gesetzes.
§ 84. Es darf niemandem auf Kosten des Staats eine Pension, ein Honorar oder eine andere Entschädigung gewährt werden, außer auf Grund eines diesbezüglichen Gesetzes.
§ 85. Für jedes Jahr wird ein allgemeiner Voranschlag der Staatseinnahmen und -ausgaben zusammengestellt. Auf gesetzgeberischem Wege kann seine Geltung teilweise verlängert werden, bis zur Annahme des neuen Voranschlags.
X. Abschnitt.
Von der Geltung des Grundgesetzes und von seiner Abänderung.
§ 86. Das Grundgesetz gilt als unwandelbare Richtschnur für die Tätigkeit der Staatsversammlung, der Gerichts- und Regierungsinstitutionen.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 erhielt der
§ 86 folgende Fassung:
"§ 86. Das Grundgesetz gilt als unwandelbare Richtschnur für die
Tätigkeit der Staatsversammlung, des Staatsältesten, der Regierungsbehörden und
der Gerichte."
§ 87. Das Recht der Initiative zur Abänderung des Grundgesetzes steht dem Volke in der Ordnung der Volksinitiative, wie auch der Staatsversammlung in gewöhnlicher Ordnung zu.
Einzige (bekannte) Initiative zur Änderung des Grundgesetzes war das Gesetz vom 29. März 1932.
§ 88. Über eine Änderung des Grundgesetzes, sei sie in der Ordnung der Volksinitiative oder von der Staatsversammlung angeregt worden, entscheidet das Volk auf dem Wege der Volksabstimmung.
Einzige (bekannte) Volksabstimmung aufgrund dieses Paragrafen war diejenige zum Gesetz vom 29. März 1932, die vom 14. - 16. Oktober 1933 statt fand und eine befürwortende Mehrheit erhielt.
§ 89. Das Projekt einer Abänderung des Grundgesetzes muß dem Volke wenigstens drei Monate vor dem Tage der Volksabstimmung bekannt gegeben werden.
Durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1933 wurden als
Übergangsbestimmungen festgesetzt:
"§ 1. Die Änderungen der Verfassung der Estnischen Republik, die im
I. Teil des vorliegenden Gesetzes enthalten sind, treten in Kraft am hundertsten
Tage nach der Annahme dieses Gesetz durch Volksabstimmung. Gleichzeitig
verlieren ihre Gültigkeit der einleitende Teil, die §§ 29, 36, 39, 41, 42, 43,
44, 51, 53, 54, 55, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 69, 70, 75, 76, 80,
81, 82, 86 und die Überschrift des V. Abschnitts der Verfassung der Estnischen
Republik (RT 113/114 - 1920), die durch den I. Teil des vorliegenden Gesetzes
enthaltenen einleitenden Teil, die Paragraphen und die Überschrift des V.
Abschnitts ersetzt werden.
§ 2. Im Lauf von neunundneunzig Tagen, gerechnet von der Annahme des vorliegenden Gesetzes durch Volksabstimmung, ist die Staatsversammlung verpflichtet, die Gesetze in Kraft zu setzen, die zur Durchführung der im I. Teil des vorliegenden Gesetzes enthaltenen Abänderungen der Verfassung der Estnischen Republik nach ihrem Inkrafttreten erforderlich sind.
§ 3. Die neuen Staatsversammlungswahlen und die Wahlen des Staatsältesten finden spätestens im Laufe von hundert Tagen, gerechnet vom Tage des Inkrafttretens der im I. Teil des vorliegenden Gesetzes enthaltenen Abänderungen der Verfassung der Estnischen Republik statt (§ 1 des II. Teils des vorliegenden Gesetzes).
§ 4. Die Vollmachten der gegenwärtigen Staatsversammlung erlöschen mit dem Beginn der Vollmachten der im vorhergehenden Paragraphen erwähnten neuen Staatsversammlung."
Zur Übersetzung estnischer Begriffe:
- Eesti = Estland
- Eesti Vabariigi = Estnische Republik oder Republik Estland
- Riigi = Staat
- Vabariigi = Republik
- seadus = Gesetz
- põhiseadus = Grundgesetz
- Konstitutsioon = Verfassung
- Riigi Teataja = Staatsanzeiger, Staatsblatt (Gesetzblatt der Republik seit
1918)
Die estnischen Bezeichnungen der
Staatsorgane und ihre mögliche Übersetzung:
- Riigikogu = Staatsversammlung, Reichstag, Reichsrat, Staatsrat.
- Riigivanemast = Staatsältester, Reichsverweser, wörtlich: Staatsverweser
- Peaministrist = Ministerpräsident, Premierminister, wörtlich: Oberminister
- Riigikohust = Staatsgericht, Staatsgerichtshof
Durch die ursprüngliche Verfassung wurde eine reine
parlamentarische Republik gebildet, mit einer voll parlamentarisch
verantwortlichen und vom Parlament gewählten Regierung ohne Staatsoberhaupt.
Durch die Verfassungsänderung von 1933 wurde die Staatsform in eine präsidiale
Republik (a la V. Französische Republik) umgewandelt.
Quellen:
Staatsanzeiger (Riigi teataja), 1920, Nr. 243 S. 897ff.
Jahrbuch des öffentlichen Rechts Band XII. (1923/24), S. 202 ff.
Zeitschrift für auswärtiges öffentliches Recht und Völkerrecht, 1934, S. 438ff
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Juni 2007 - 9. Juni 2007