Hinweis zum Verhältnis der Republik Estland zur Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik
Die Republik Estland der Jahre 1918 bis 1940 und seit 1990 sind identische Völkerrechtssubjekte. Die Republik Estland hat mit dem 6. September 1991, der Anerkennung der Unabhängigkeit durch die UdSSR selbst, faktisch die Völkerrechtspersönlichkeit der Republik Estland, die seit Anfang August 1940 geruht hat, wieder zurückerhalten. Die meisten westlichen Staaten, die die "Aufnahme" Estlands in die UdSSR Anfang August 1940 als Annektion (und damit als völkerrechtswidrig) anerkannt haben, haben deshalb ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen (darunter die EG am 27.8.1991 und die USA am 2.9.1991), die seit 1940 geruht haben.
Die Estnische Sozialistische Sowjetrepublik, wurde am 6. August 1940 "gegründet" und zwar unter militärischem Druck der Sowjetunion durch die aufgrund sowjetischer Drohungen um- und neugebildeten Organe der bisherigen Republik Estland. Trotzdem ist die Estnische Sozialistische Sowjetrepublik niemals ein allgemein anerkanntes Völkerrechtssubjekt gewesen und hat deshalb auch keine Beziehung zum Völkerrechtssubjekt "Republik Estland", außer dem im wesentlichen identischen Gebietsumfang. Es bleibt jedoch die Tatsache, dass die Staatsorgane der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik beschlossen haben, aus der UdSSR auszutreten und an das ruhende Völkerrechtssubjekt "Republik Estland" wieder anzuknüpfen.
Nach heutiger Auffassung der Staatsorgane der Republik Estland, die von den meisten Staaten der Welt anerkannt ist, war Estland in der Zeit von 1940 bis 1991 von der UdSSR okkupiert, also besetzt. Eine Estnische Sozialistische Sowjetrepublik hat nach dieser Auffassung nicht bestanden; diese war eine durch die Besatzungsmacht geschaffene Organisation. Nichts desto trotz ist das Recht, das die UdSSR und die von ihr organisierte Estnische SSR für das Gebiet Estlands erlassen hat, geltendes Recht in Estland geblieben, solange und soweit dieses nicht dem Grundgesetz Estlands von 1992 widerspricht oder in der Zwischenzeit aufgehoben wurde.
Die kurze Zeitspanne zwischen der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik
und der Wiedererrichtung der Republik Estland:
23.08.1988 Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes von
1939; genehmigte Großdemonstrationen in Estland
11.09.1988 Beschluss des ZK der Estnischen KP über die Wiedereinführung der
Amtssprache Estnisch.
02.10.1988 Gründung der Estnischen Volksfront zur Unterstützung der
Perestroika
16.11.1988 Beschluss des Obersten Sowjets der Estnischen SSR über die
Souveränität der Estnischen SSR; Nichtigerklärung durch das Präsidium des
Obersten Sowjets der UdSSR am 17.11.1988
07.12.1988 Verfassungsänderung erhebt Estnisch zur Staatssprache in der
Estnischen SSR
24.02.1989 Beschluss des Obersten Sowjets der Estnischen SSR über die
Erhebung des 24. Februar zum gesetzlichen Feiertag (Tag der Unabhängigkeit im
Jahr 1918)
26.03.1989 Wahlen zum Obersten Sowjet der UdSSR; die KPdSU wird in Estland
nach der Estnischen Volksfront nur zweitstärkste Partei
26.03.1989 Einführung der Osteuropäischen Zeit (anstelle der seit 1940
geltenden Moskauer Zeit in Estland)
18.05.1989 Gesetz über die wirtschaftliche Selbständigkeit der Estnischen
SSR
08.08.1989 Gesetz über die Wahlen zum Obersten Sowjet der Estnischen SSR,
das eine Verlängerung der Wohnsitzfristen einführt, führt zum Streik von
40000 in Estland lebenden Russen und anderen Einwohnern, der bis zum 18.8.
andauert; am 16.8. wird das Gesetz durch den Obersten Sowjet der UdSSR für
nichtig erklärt
23.08.1989 Großdemonstration in den Baltischen Staaten zum 50. Jahrestag
des Hitler-Stalin-Paktes
27.08.1989 Erste ernste Warnungen der Führung in Moskau an die baltischen
Staaten
13.11.1989 Erklärung des Obersten Sowjets der Estnischen SSR, dass der
Anschluss der Republik an die UdSSR von 1940 null und nichtig ist (erste
Unabhängigkeitserklärung)
24.02.1990 Beschluss des Obersten Sowjets der Estnischen SSR zur
Einführung des Mehrparteiensystems
18.03.1990 Wahlen zum Obersten Sowjet der Estnischen SSR nach dem Mehrparteiensystem
30.03.1990 Beschluss des Obersten Sowjets der Estnischen SSR über einen
stufenweisen Übergang zur Unabhängigkeit
08.05.1990 Beschluss des Obersten Sowjets der Estnischen SSR über die
Umbenennung des Staatsnamens in "Republik Estland"
Beschluss des Obersten Rates der Republik Estland, dass nur noch vom estnischen
Parlament angenommene Beschlüsse Gesetzeskraft in Estland erlangen können.
12.05.1990 Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen
beschließen die Wiederbelebung des Baltischen Rates
15.05.1990 Dekret des Präsidenten der UdSSR über die Ungültigkeit der
Beschlüsse des Estnischen Parlaments vom 8.5.1990.
18.12.1990 Verzicht der estnischen Abgeordneten auf eine weitere
Zusammenarbeit im Obersten Sowjet der UdSSR
07.01.1991 die UdSSR entsendet weitere militärische und paramilitärische
Truppen auch nach Estland
03.03.1991 nicht bindende Volksabstimmung über den künftigen Status von
Estland ergibt eine Mehrheit von 78% für die Unabhängigkeit (bei einer
Stimmbeteiligung von 83%)
18.08.1991 Beginn eines Staatsstreich in der UdSSR
20.08.1991 Unabhängigkeit der Republik Estland von der UdSSR;
Wiederaufnahme der Persönlichkeit des Völkerrechtssubjekts "Republik Estland"
21.08.1991 Zusammenbruch des Staatsstreichs in der UdSSR
21.08.1991 Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen verschiedener
westlicher Staaten in Europa zur Republik Estland; Wiederanerkennung der
souveränen Republik Estland als Völkerrechtssubjekt.
Verbot der KPdSU
27.08.1991 Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den
Mitgliedstaaten der EG und Estland.
02.09.1991 Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der
Republik Estland und der USA
06.09.1991 Anerkennung der unabhängigen Republik Estland durch die UdSSR
17.09.1991 Aufnahme in die Vereinten Nationen
Die Republik Estland erhält im Gefolge der Wiederanerkennung der Unabhängigkeit Estlands das in vielen westlichen Staaten deponierte Vermögen der Republik Estland rückübertragen (u. a. über 8 t Gold).
Hinsichtlich des Staatsrechts Estlands ist nichts genaues bekannt. Anerkannt ist, auch durch das Grundgesetz von 1992, dass die Verfassung von 1937, die am 1. Januar 1938 in Kraft getreten war, die letzte geltende Verfassung der völkerrechtlich anerkannten Republik Estland war und deshalb faktisch mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit spätestens am 20. August 1991 eigentlich (faktisch) wieder in Kraft getreten ist. Gleichzeitig ist jedoch bekannt, dass die Staatsorgane, die aufgrund der Verfassung der Estnischen SSR von 1978 (mit Änderungen) gewählt wurden, bis zum Übergang auf die Verfassung von 1992 (durch das Einführungsgesetz) die Aufgaben der Staatsorgane der Republik Estland in anerkannter Weise erledigt haben und somit das Wiederinkrafttreten der Verfassung von 1937 faktisch nicht erfolgt ist.
© 20. Juni 2007